Wir können jetzt auch Hochdeutsch

29. Juni 2009

Unter dem Titel “Wir können jetzt auch Hochdeutsch” schrieb der Mannheimer Morgen am letzten Mittwoch:
Jetztauchhochdeutsch2
Eine verwirrende Antwort? Zugegeben, wenn Herr Reinhart das wirklich gesagt hat, ist er ein besserwisserischer Haarspalter – aber Recht hat er. Historisch gesehen kann man das deutsche Sprachgebiet in drei Gebiete teilen. Das hatten wir ja schon mal, im Pfingst-Artikel. Zur Erinnerung:

2009-06-01-Heutige_deutsche_Mundarten-Ausschnitt

Niederdeutsch (keine 2. Lautverschiebung)

________________

Mitteldeutsch (teilweise 2. Lautverschiebung)

+

Oberdeutsch (komplette 2. Lautverschiebung)

=

Hochdeutsch

Die Bezeichnung mit Nieder-, Mittel-, Ober– und Hoch– kommt aus der Geografie des deutschen Sprachraums: Der Süden liegt um einiges höher als der Norden. Es geht also nicht drum, wo auf der Landkarte oben ist, sondern darum, wo die Berge sind.

Relief2
Die mittel- und oberdeutschen Dialekte, darunter das erwähnte Schwäbisch, Kurpfälzisch, Alemannisch und Fränkisch (wobei Schwäbisch sowieso zu Alemannisch gehört), bilden zusammen die hochdeutschen Dialekte. Die Bezeichnungen Hochdeutsch (also ohne den Hinweis auf Dialekte) wird allerdings heute mit Standarddeutsch gleichbedeutend gebraucht, bezeichnet also die standardisierte Varietät.

Natürlich ist es nicht so schlau, einmal Hochdeutsch als Synonym für die Standardsprache zu gebrauchen (Wir können alles. Außer Hochdeutsch) und einmal für das Dialektgebiet (Also können wir sogar besonders gut Hochdeutsch). Baden-Württemberg ist zwar stolz darauf, die Standardsprache nicht zu beherrschen − wenn das aber zum Vorwurf gemacht wird, flüchtet man sich einfach in eine andere Definition von Hochdeutsch und kann es somit doch. Womit man seine eigene Werbekampagne sabotiert. Ist das Politik?

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[Lesetipp] Fehler machen Worte

20. Juni 2009

Beim Blättern im Archiv der Zeit habe ich einen recht schönen Artikel namens “Fehler machen Worte” gefunden. Wer den Süddeutsche-Artikel über Rudi Keller gelesen hat, wird viel Bekanntes wiederfinden, aber es sind durchaus auch einige neue Aspekte dabei.

Schön fand ich den Absatz über die Duden-Sprachberatung, aus dem hervorgeht, dass der Duden  und seine Mitarbeiter eben nicht stur bestimmen, wie es richtig ist, sondern, im Gegenteil, sehr deskriptiv vorgehen – es sind vielmehr die Duden-Nutzer, die verlangen, dass alles bis ins kleinste geregelt sein soll:

Eines, stellt Herweg fest, haben die meisten gemeinsam: Sie erwarten eindeutige Antworten. »Die Leute fragen auch dort nach Regeln, wo es keine gibt.« Oft muss sie diese Erwartung enttäuschen, »das ist nicht eindeutig geregelt«, sagt sie dann am Telefon, was aber keiner hören will. Es scheint ein Bedürfnis nach Ordnung und Stabilität zu bestehen.”

Der Absatz über die Zahl der deutschen und englischen Wörter ist allerdings etwas peinlich. Da wird behauptet:

Seit fünf Jahren verfolgt das US-Unternehmen Global Language Monitor im Rahmen des Projekts »Million Words March« die englische Sprache und registriert alle neu entstandenen Wörter, Anfang Juni soll die Millionenmarke erreicht werden.

Wer das Language Log liest, kennt das Märchen schon, und auch die ausführlichen Begründungen dafür, warum es völliger Quatsch ist. (Unter anderem hier, hier, hier, hier, hier und erst kürzlich hier.)

Auch die deutsche Sprache wächst, etwas langsamer zwar, aber es entstehen weit mehr Wörter, als aussterben: Trotz der strengen Aufnahmekriterien kommen im Duden mit jeder Auflage Tausende hinzu, heute enthält Die deutsche Rechtschreibung schon mehr als 130000 Wörter.”

Dass der Duden wächst und mit jeder Auflage mehr Einträge enthält, glaube ich gerne. Dass der Duden aber mit dem deutschen Wortschatz gleichzusetzen ist … ähem. Damit wäre dann 1872 seine Geburt anzusetzen, hm? Vorher nur Deutsch ohne Wörter? Und dann von 27.000 (1880) zu 130.000 in knapp 130 Jahren? Wow.

Skurrile Idee, dass ein Nachschlagewerk zur Rechtschreibung den kompletten Wortschatz einer Sprache enthalten könnte oder aber dass die Einträge jeder Auflage dieses Nachschlagewerks immer im gleichen Verhältnis zum Gesamtwortschatz stehen könnten (etwa “Der Duden enthält immer 30% aller deutschen Wörter”). Und noch skurriler der Gedanke, dass Wörter wirklich fest definiert und somit zählbar sein könnten. (Was ist mit zusammengesetzten Wörtern? Was ist mit Phrasenkomposita wie Immer-nur-dumm-Rumsteher, was ist mit Substantivierungen zu Verben wie das Chillen, das Rappen? …)


[Surftipp] Städtenamen im Dialekt

19. Juni 2009

Noch was Schönes zum Angucken fürs Wochenende: Städtenamen im Dialekt. Die “Zeit” veröffentlicht immer mal wieder lustige Deutschlandkarten (z.B. zu Friseursalonnamen). Im April gab es eine, die zeigt, wie Städte in der lokalen Mundart heißen:

2009-06-19-Städte

Man beachte Paderboan und Doatmund.


Geliebtes Deutsch

18. Juni 2009

Das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim hat letztes Jahr eine Studie zu Spracheinstellungen zum Deutschen gemacht. Die Studie (bzw. Teile von ihr) gibt’s zum Mitmachen auch noch online.

Ein paar interessante Ergebnisse:

47% der Befragten (darunter auch Nicht-Muttersprachler) empfinden der deutschen Sprache gegenüber Liebe, 56% Stolz.

60% der Befragten gaben an, einen Dialekt zu sprechen. Da habe ich aber so meine Zweifel und frage mich, ob das nicht vielleicht eher regional gefärbte Umgangssprachen sind. Die Bezeichnung “Dialekt” wird ja im Allgemeinen recht breit aufgefasst. Besonders bei “Am sympathischsten wird der norddeutsche Dialekt empfunden (24%), gefolgt von Bairisch (20%) und Alemannisch (13%)” frage ich mich, was genau hier unter Norddeutsch verstanden wurde – Niederdeutsch, oder Hochdeutsch mit norddeutschem Einschlag wie das S-tolpern über den beliebten s-pitzen S-tein? Und ist das gute Abschneiden von Bairisch und Alemannisch nicht vor allem darauf zurückzuführen, dass die meisten Dialektsprecher der Studie aus Süddeutschland kamen?

großes Interesse an der Pflege der deutschen Sprache” hatten 1997/98 13% der Befragten, heute sind es 35% – das Bastian-Sick-Phänomen, würde ich mal sagen. Eher froh macht mich allerdings folgendes Ergebnis:

Die Mehrheit der Befragten betrachtet die Entwicklung der deutschen Sprache mit gemischten Gefühlen oder sogar mit Sorge. Auf die Frage, ob die Veränderung der deutschen Sprache positiv oder negativ zu bewerten sei, antwortet mehr als die Hälfte der Befragten (53%) unentschieden. 30% sind der Ansicht, die Entwicklung sei „eher besorgniserregend“ oder „sehr besorgniserregend“. 16% der in Deutschland lebenden Bevölkerung findet die Veränderungen „eher erfreulich“ bzw. „sehr erfreulich“. Einwanderer bewerten die Entwicklung der deutschen Sprache deutlich positiver als Muttersprachler.

30% ewige Nörgler vs. 16% Optimisten kommt mir gar nicht so krass vor, gefühlt sind es viel mehr Schwarzmaler.


Unter einem Teppich stecken …

14. Juni 2009

Kürzlich habe ich mit meinen Eltern telefoniert und wollte dabei eine Wortform im badischen Dialekt wissen. Es ging mir um das Wort Decke, das ja zwei Bedeutungen hat: Einmal die ‘Zimmerdecke’ und einmal die ‘Decke zum Zudecken’. Die Zimmerdecke heißt Deggi und in der Mehrzahl Deggine. Das ist eine spezifisch alemannische Pluralform, über die ich bestimmt demnächst mehr schreiben werde.

Woran ich jetzt zweifelte war, dass das Wort in der Bedeutung ‘Decke zum Zudecken’ auch den ne-Plural bildet. (Meine Hypothese war, dass es in der Einzahl Deck und in der Mehrzahl Decke hieße.) Also fragte ich meine Mutter ganz direkt. Das ist eine schlechte Methode, weil sie so eine Chance hatte, nachzudenken. Da wir aber eh schon über Plurale sprachen und sie somit bereits über Formenbildung nachdachte, war eh nichts mehr zu retten. Wie erwartet zögerte sie und wusste nicht so richtig, was die Mehrzahl war. Also wurde sie investigativ tätig …

Meine Mutter zu meinem Vater: Du, was isch sell wu ma sich noochds mit zuedeckt?
Mein Vater: Ha e Deckbett.
Meine Mutter: Un hämmir nur eins defu?
Mein Vater: Nai, mir hän mäh Deckbedder.
Meine Mutter zu mir: Deckbedder!
Ich: Ja Mama, aber das ist ja die Mehrzahl von Bett, nicht von Decke.
Meine Mutter: Aaah, ja, stimmt. Wardemol.
Meine Mutter zu meinem Vater: Un im Winder, wenn’s kalt isch, was nimmsch donn noch dezue?
Mein Vater: E Deppich.
(Übersetzung)

So endete die telefonische Feldforschung mit einer unerwarteten Feststellung: Das, was im Hochdeutschen als Decke bezeichnet wird (Bettdecke, Zudecke, Picknickdecke, …), wird im Badischen durch andere Wörter abgedeckt. Die Bettdecke durch Deckbett (gibt’s im Hochdeutschen ja auch) und jede andere Form einer textilen Decke als Teppich.

Weil ich mir aber soooo sicher war, dass es auch Decke irgendwie geben muss, habe ich mich auf der alemannischen Wikipedia umgesehen, und siehe da: die Tischdecke ist kein Tischteppich!

Ingvar Kamprad het mit sinere Firma am Afang allerlei verschideni Ware, dorunder Chugelschriber, Briefdasche, Bilderrämme, Dischdeckene, Uhre, Zündhölzli, Schmuck un Nylonstrümpf verchauft. (Quelle)

[Ingvar Kamprad hat mit seiner Firma am Anfang allerlei verschiedene Waren, darunter Kugelschreiber, Brieftaschen, Bilderrahmen, Tischdecken, Uhren, Streichhölzer, Schmuck und Nylonstrümpfe verkauft.]

Jetzt mal schauen, wie meine Mutter die badische Form dazu aus meinem Vater herauslockt …

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