Bibliothek, Könyvtár, पुस्तकालय

28. August 2009

Im Eingangsbereich der Bereichsbibliothek Philosophicum in Mainz hat man versucht, thematische Gestaltungselemente einzubringen. Das Ergebnis strahlt nicht gerade vor Originalität, aber es sieht ganz gut aus und gibt Schplockstoff her:

Bereichsbibliothek

2009-08-BB

Jedes Mal, wenn ich vorbeikomme, frage ich mich, wie viele verschiedene Sprachen da wirklich drauf sind. Ganz offensichtlich wiederholen sich die Wörter ja nach einer Weile. Jetzt hab ich’s endlich mal fotografiert und zuhause in Ruhe nachgezählt: Ich sehe 37. Viele sind natürlich langweilig, weil sie einfach nur Variationen des griechischen Wortes sind, aber dazwischen steckt immer noch genug Interessantes. Gerade die Sprachen mit den “fremden” Schriftsystemen werden übrigens zu einem großen Teil nicht im Philosophicum gelehrt, sondern anderswo auf dem Campus (wenn überhaupt). Ich schätze mal, man hat sie hauptsächlich aus optischen Gründen ausgewählt.

Im Folgenden eine Liste aller verschiedenen Wörter, die ich gefunden habe. Vielleicht habt Ihr ja Lust, beim Identifizieren mitzuhelfen?

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wirzind urlaup

26. August 2009

photokej hat ein schönes Hinweisschild bei einem türkischen Lebensmittelhändler gefunden, das auch aus Schplock-Perspektive spannend ist:

Foto von Steffen Michel (C-C-Lizenz by-nc-nd)

Der deutsche Text Libe Kunden wirzind urlaup Danke verrät nämlich einiges über das türkische Schriftsystem und das Türkische generell.

Türkisch wird erst seit 1928 in lateinischen Buchstaben geschrieben, davor benutzte man arabische Schriftzeichen. Die waren allerdings ziemlich inadäquat, weil man damit nicht alle Laute des Türkischen notieren konnte. Seit 1928 benutzt man nun also lateinische Buchstaben: <a b c ç d e f g ğ h ı i j k l m n o ö p r s ş t u ü v y z>

wir zind ≠ wir tsind

Wie die Buchstaben im Einzelnen ausgesprochen werden, könnt Ihr ganz leicht selbst herausfinden, nur auf das <z> will ich eingehen. Wie in sehr vielen anderen Sprachen auch1, steht das <z> im Türkischen nicht für [ts], sondern für ein stimmhaftes s.

Im Deutschen gibt es <ß> und <ss> ausschließlich für das stimmlose s. Der Buchstabe <s> kann aber sowohl für die stimmlose als auch für die stimmhafte Variante stehen: in <Ast> ist er stimmlos, in <Sonne> stimmhaft. Bei deutschen Wörtern ist das <s> am Wortanfang immer dann stimmhaft, wenn ein Vokal direkt darauf folgt. (See, Sau, sieben, … aber Slalom, Skript, Sniper2)

Die Schreibung <zind> für <sind> kommt also daher, dass im Türkischen <z> der Buchstabe für das stimmhafte s ist.

(Darauf folgt natürlich auch umgekehrt die Erkenntnis, dass Namen wie Özdemir nicht Ötzdemir gesprochen werden.)

urlaup

Urlaub wird im Deutschen ja tatsächlich mit einem p-Laut am Ende gesprochen. Schuld ist die “Auslautverhärtung”, ein Phänomen des Deutschen, das bestimmte Konsonanten am Silbenende stimmlos macht.

Betroffen sind

  • die Plosive [b], [d], [g]
    • Urlaub wird Urlaup gesprochen (aber: Urlaube)
    • Rad wird Rat gesprochen (aber: der)
    • Splog wird Schplock gesprochen (aber: Schplögge … ähm, okay, lieber Weg wird Week gesprochen, aber: Wege)
  • die Frikative [v] (der w-Laut) und [z] (das stimmhafte s)
    • brav wird braf gesprochen (wobei da auch viele Leute immer f sagen, auch bei brave)
    • Los /lo:z/ wird Los gesprochen (aber: Lose [lo:zə])

Die Auslautverhärtung ist ein sehr altes Phänomen, schon im Mittelhochdeutschen gab es sie (<c> = [k]):

… ich sach, deist sicherlîchen wâr,
eins gebûren sun, der truoc
[trug] ein har,
daz was reide unde val;
ob der ahsel hin ze tal
mit lenge ez volleclîchen gienc [ging]. […]

wie Troye wart besezzen,
dô Pârîs der vermezzen
dem künege ûz Kriechen nam sin p,
[Weib]
diu im was liep
[lieb] alsam sîn p [Leib], … (Meier Helmbrecht)

Zwischenzeitlich hat man aber wieder aufgehört, sie auch zu schreiben. Der Grund nennt sich “Morphemkonstanz” was eigentlich nichts anderes heißt, als dass man am Schriftbild klar erkennen können soll, dass <Urlaub> und <Urlaube> Formen ein und desselben Lexems sind.

Aber zurück zur türkischen Transferenz: Die Person hat nicht nur urlaup geschrieben, weil sie nach Gehör geschrieben hat. Im Türkischen gibt es nämlich ein Phänomen, das auch mit stimmhaften und stimmlosen Konsonanten zu tun hat:

p, t, k oder ç am Wortende werden bei vielen Wörtern stimmhaft, wenn eine Endung angefügt wird. Man könnte es auch als “Inlauterweichung” bezeichnen:

  • [p], [t], <ç> [tʃ]  werden zu [b], [d], <c> [dʒ], also stimmhaft
  • [k] wird zu <ğ> [ɣ], einem stimmhaften Reibelaut (wobei der Buchstabe auch oft nur dazu dient, eine Vokallängung anzuzeigen)

Im Gegensatz zum Deutschen schreibt man das im Türkischen aber auch verschieden:

  • <kitap> ‘Buch’
  • <kitap>+<ım> → <kitabım> ‘mein Buch’

Der Verschriftung der deutschen Auslautverhärtung wird also durch die türkische Rechtschreibung nachgeholfen – wenn man den Wechsel von <b> und <p> schon kennt, kommt’s einem auch im Deutschen nicht unbedingt komisch vor.

wirzind urlaup – wo?

Mein letzter Punkt hat mir Rechtschreibung nichts mehr zu tun – es geht um die fehlende Präposition im.

Im Türkischen gibt es keine Präpositionen. Ihre Funktion wird in den meisten Fällen von Kasusendungen erfüllt, die ans Substantiv angehängt werden:

  • im Haus braucht im Türkischen einen Lokativ, einen Kasus, der den Ort angibt, an dem sich etwas befindet: evde ‘Haus+LOK’ (auch: ‘zuhause’)
  • aus dem Haus (heraus) braucht einen Ablativ, der anzeigt, dass etwas vom Substantiv entfernt wird: evden ‘Haus+ABL’

Ich nehme an, dass auch bei im Urlaub im Türkischen ein Lokativ stehen müsste (?).

Die beiden Systeme sind also nicht wirklich kompatibel. Dazu kommen die Genera des Deutschen: Um im Urlaub korrekt sagen zu können, muss man nicht nur die entsprechende Präposition kennen, sondern auch noch wissen, dass Urlaub maskulin ist und daher im braucht, nicht in der. (Ganz abgesehen von der Kasusflexion …)

Die Präposition wegzulassen, ist da wahrscheinlich das einfachste. Vor allem, wenn man endlich entspannt Ferien machen will.

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Welli? Selli! Rätsellösen mit der Mittelhochdeutschen Grammatik

24. August 2009

Hansi, der Gewinner der Schplock-Jubiläumsverlosung 2009, hat sich nicht damit begnügt, ein Buch von mir geschickt zu bekommen – nein, er hat mir auch postwendend ein Buch zurückgeschickt. Jippie! Und zwar die Mittelhochdeutsche Grammatik von Paul/Mitzka in der 18. Auflage, die (und deren Nachfolgerinnen) ich tatsächlich noch nicht besaß. Ich habe mich enorm gefreut und gleich angefangen, zu lesen. Bereits auf Seite 27 habe ich dann etwas herausgefunden, was ich Euch auf keinen Fall vorenthalten will …

Im Alemannischen gibt es die Wörter seller, selli, sell. Sie entsprechen ungefähr dem hochdeutschen ‘jener, jene, jenes’/‘dieser, diese, dieses’/‘der, die, das’. Das sind Demonstrativpronomen, aber zu dem Thema schreibe ich mal gesondert was. Jetzt geht es nur darum, dass ich jahrelang gerätselt habe, woher die Formen kommen.

Hier ein Beispiel aus meinen Aufnahmen für die Magisterarbeit – ich hatte danach gefragt, welche Spiele es früher gab:

Un die Kardeschbiile, des hämmer au gho. Des het mo gwänlich vun de Vewonde irgendwie mol gschengt griegt, waisch, un … ja. Sell hämmer au gho. Un mer hänau fil gschbielt …

[Und diese Kartenspiele, das haben wir auch gehabt. Das hat man gewöhnlich von den Verwandten irgendwie mal geschenkt gekriegt, weißt du, und … ja. Das haben wir auch gehabt. Und wir haben auch viel gespielt …]1

Formal hat sell weder mit dies noch mit jenes etwas gemein, und sonst ist mir auch kein neuhochdeutsches Wort eingefallen, dem es entsprechen könnte. Ich habe immer mal wieder von Leuten den Vorschlag gehört, es könnte mit dem französischen cela ‘das’ oder celle, celui ‘die, der’ zu tun haben. Da ist aber nichts dran. Es gibt ein hochdeutsches Wort. Die Mittelhochdeutsche Grammatik hat mir auf die Sprünge geholfen:

Die neuhochdeutsche Entsprechung ist solcher (solche, solches). Im Althochdeutschen lautete es noch solihêr oder solher2. Es gab aber die Tendenz dazu, ein h in unbetonter Silbe nur noch ganz schwach und schließlich gar nicht mehr auszusprechen. Das führte zur südalemannischen Form solêr.

Gleichzeitig machte auch das Wort welcher in seiner althochdeutschen Form uuelihêr, uuelher3 diese Entwicklung mit und wurde zu weler. (Auch das gibt es noch heute als weller, welli, wells.)

Und schließlich nahm sich soler das weler zum Vorbild und beseitigte das o zugunsten des e-Lautes. Das nennt man Analogie, das eine Wort benutzt das andere als Muster, um mehr Regelmäßigkeit in die Formen zu bringen.

Seller übernahm schließlich im Alemannischen die Funktions des Demonstrativpronomens, in Aufgabenteilung mit den Artikeln. Die alten Demonstrativpronomen dieser und jener finden sich im Dialekt überhaupt nicht mehr. Und wenn man die ursprüngliche Bedeutung ‘solcher’ ausdrücken will, sagt man einfach so einer.

Heute Nacht werde ich ruhig schlafen können.

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[Buchtipp] Watching the English

20. August 2009

Buchtipps sind keine Spezialität von mir. Nicht, dass ich nicht einen ganzen Stapel von empfehlenswerten Büchern auf meinem Nachttisch liegen hätte. Aber irgendwie kann ich mich nur selten davon überzeugen, was drüber zu schreiben. Und wenn ich’s dann tue, sind es schon alte Hüte. Jetzt will ich die Zahl der dringend nötigen Tipps auf drei verringern:

2009-08-20-fox“Watching the English. The Hidden Rules of English Behaviour” habe ich vor einigen Jahren gelesen und mittlerweile ist seine große Zeit in den deutschen Bahnhofsbuchhandlungen (denn da steht es eigentlich in jeder größeren Stadt) schon fast wieder vorüber. Als ich es meiner Mutter schenkte, hatte sie es sich schon selbst gekauft. Als ich es Memo empfehlen wollte, kannte er es schon längst. Ihr müsst es also lesen, Gruppenzwang und so! Aber ganz abgesehen davon, ist es wirklich großartig.

Kate Fox ist eine britische Anthropologin, die sich einem skurrilen Inselvolk widmet: Den Engländern. Sie analysiert das Volk mit dem Beschreibungsinstrumentar ihres Faches und schafft es dabei, uns die Engländer zunächst völlig zu entfremden und sie uns dann wieder sehr nahe zu bringen. Man sollte das Buch keinesfalls zu kurz vor einer Reise auf die Insel lesen – die daraus entstehende Angst davor, all diese geheimnisvollen gesellschaftlichen Regeln zu brechen, kann in enormem Stress resultieren.

Warum ich “Watching the English” so fantastisch finde? Es ist wissenschaftlich fundiert – aber nicht vollgestopft mit unverständlicher Terminologie. Kate Fox erklärt genau, wie sie arbeitet und warum sie es so tut. Es ist lebendig – zur Illustation dienen oft mitgehörte Gespräche oder selbst gemachte Beobachtungen, aber auch kleine Anekdoten. Es ist humorvoll – nicht zum Brüllen komisch, aber auf eine sehr feine, schmunzelnde Art humorvoll. Kate Fox nimmt ihre Arbeit ernst, kann aber auch wunderbar selbstironisch sein.

Das Buch besteht aus zwei Teilen, “Conversation Codes” und “Behaviour Codes”. Im ersten Teil geht es um schplockrelevantes, nämlich Sprache und Kommunikation. Dabei kommt natürlich das beliebte Wetter zur Sprache, aber es geht auch darum, wie ein Gespräch zwischen zwei Unbekannten verläuft, in welchem Verhältnis Sprache und Klasse zueinander stehen und welche Besonderheiten in einem Pub zu beobachten und -lauschen sind. Wusstet ihr zum Beispiel, dass man sich beim Kennenlernen nie direkt mit Name und Beruf vorstellt? Der Name wird erst ganz am Schluss und ganz beiläufig genannt, den Beruf lässt man sein Gegenüber erraten.

Der zweite Teil widmet sich verschiedenen Lebensbereichen und ihnen eigenen Verhaltensmustern. Es wird erklärt, warum my home my castle ist, es geht um Arbeit, Freizeit, Kleidung und vieles mehr. Auch die enorme Bedeutung des Schlangebildens wird unter die Lupe genommen: Engländer stellen sich überall an und halten die Reihenfolge penibel ein. Selbst wenn sie ganz alleine sind.

Alle “Regeln” arbeitet Fox durch Beobachtungen, Interviews und auch kleine Experimente heraus – sie bricht sie und analysiert die Reaktionen darauf. Diese Regeln fügen sich nachher zu etwas zusammen, das sie “the Grammar of Englishness” nennt, ein Regelwerk, das von einigen wenigen Prinzipien bestimmt wird und alle Verhaltensmuster auf ein gemeinsames Grundmuster zurückführt.

“Watching the English” gibt es – das Thema legt es nahe – nur auf Englisch. Wer von Euch davon genug zum Bücherlesen kann, dem sei es allerwärmstens ans Herz gelegt!

Hier noch eine der kleinen Regeln zum Reinschnuppern:

The Weather-as-family Rule

While we may spend much of our time moaning about our weather, foreigners are not allowed to criticize it. In this respect, we treat the English weather like a member of our family: one can complain about the behaviour of one’s own children or parents, but any hint of censure from an outsider is unacceptable, and very bad manners.

Although we are aware of the relatively undramatic nature of the English weather – the lack of extreme temperatures, monsoons, tempests, tornadoes and blizzards – we become extremely touchy and defensive at any suggestion that our weather is therefore inferior or uninteresting. […] Indeed, the weather may be one of the few things about which the English are still unselfconsciously and unashamedly patriotic.


[Lesetipp] Silbensprachen versus Wortsprachen

18. August 2009

Dieser Artikel ist ins neue Sprachlog umgezogen und ab sofort hier zu finden!