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Diverses von der 48. StuTS
22. November 2010Die StuTS in Potsdam ist vorbei, die in Leipzig steht bevor … fun facts am Rande:
- Adygeisch (eine Kaukasussprache) hat dorsopostalveolare Frikative (bei denen man die Zungenspitze unten hinter die Zähne legen muss), aber nur drei Vokale. (Ludger Paschen)
- Prof. Wiese untersucht Kiezdeutsch und bekommt dazu „sehr viele Zuschriften aus der … sogenannten Öffentlichkeit“. Wir durften zwei lesen – sehr krass, wie sich manche Leute bedroht fühlen, wenn man an ihrem Weltbild kratzt – und zu welcher Sprache sie dabei greifen. Was macht sie mit den Mails? „Für mich sind das auch erst mal Daten.“ Spontaner Applaus.
- Im Lasischen (auch einer Kaukasussprache) gibt’s wilde Morphologie, aber am schönsten ist, dass man aus ‚Ich bin glücklich‘ die wörtliche Form ‚Ich bin glücklich um dich herum‘ (d.h. ‚mit dir als Zentrum‘) bilden kann – sie aber mittlerweile ‚Ich küsse dich‘ bedeutet. (Hagen Blix) Den Rest des Beitrags lesen »
Der Beitrag, wo von „wo“ handelt
6. Oktober 2010André hat neulich angefragt, wo eigentlich die wo-Relativsätze verbreitet seien. Ihr wisst schon, die wo man mit wo bildet. Mir scheint, ziemlich weit. Über Grimms Wörterbuch habe ich einen Aufsatz von Weise (1917) gefunden, der als Hotspot den Südwesten angibt, also das Alemannische (auch in der Schweiz) inklusive Schwäbisch.
Aber auch anderswo findet es sich, zum Beispiel im Bairischen, Fränkischen, Ostfränkischen, Oberhessischen, Moselfränkischen und Lothringischen. Hui! Hier eine sehr ungefähre grafische Darstellung. Das orange Gebiet ist das, wo wo benutzt (wurde):
Allerdings sind die wo-Relativsätze nicht überall gleich stark verbreitet, in vielen Gebieten nehmen mache Sätze wo und andere was anderes. Leider habe ich dazu keine detailierteren, kartierbaren Angaben gefunden. (Ich habe aber auch nicht besonders zeitaufwändig gesucht.) Am konsequentesten bei der wo-Verwendung ist wohl wirklich das Alemannische.
Neben dem „langweiligen“ der/die/das (und dem kaum brauchbaren welcher/welche/welches) gibt’s in deutschen Dialekten übrigens auch noch Den Rest des Beitrags lesen »
Über die Vokauisierung
13. August 2010Ich war ja kürzlich in der Schweiz und habe mir ganz fasziniert zahlreiche schweizerdeutsche Dialekte angehört. Ganz besonders auffällig in der Phonologie fand ich vier1 Dinge und von diesen vieren kannte ich eines noch nicht: das vokalisierte l. Lest einfach mal …
[…] D’r Himu vou Wouche
U äs rägnet, was es abe mah,
Nume im Schoufänschter vom
Reisebüro
Schiint d’Sunne no.Hätti Flügu zum Flüge
Flug i mit de Vögu furt
U chiem nie meh hei.
I’nes Land ohni Näbu, ohni Räge,
I’nes Land wo si Sunne hei…
I gieng hüt no …. uf u dervo,
Eifach uf u dervo. […] Den Rest des Beitrags lesen »
Über flauschige Bibbili
3. August 2009Ich bin gerade dabei, die Dialektaufnahmen, die ich für meine Magisterarbeit gemacht habe, zu analysieren. Dabei suche ich zu jedem Wort die althochdeutsche Form – auch zu Wörtern, von denen ich gar nicht weiß, ob es sie im Althochdeutschen schon gab.
Momentan halte ich mich gerade ein bißchen beim Wort Bibbili auf, dem badischen Wort für ‘Küken’.
Weil die Bezeichnung so offensichtlich anders ist als die hochdeutsche Form, versuchen die DialektsprecherInnen oft eine etymologische Erklärung dafür zu finden. Dabei wird meistens der Bibbiliskäs angeführt (laut Duden Bibeleskäs(e)), ein quarkähnlicher Rohmilchkäse – er taugt zur Erklärung des Wortes allerdings nicht, da er nach den Tieren benannt ist: Mit ihm wurden die Küken früher gefüttert.
Friedel Scheer-Nahor von der Uni Freiburg hat sich dem Bibbili 2001 in einem Artikel für die Badische Zeitung gewidmet. Sie führt das Wort auf eine Lautmalerei zurück:
Wer einmal gesehen und gehört hat, wie eine Kükenschar hinter der Glucke herläuft, wird sich denken können, dass sowohl Bibbili als auch Zibbili treffende lautmalerische Bildungen sind.
Auf ihrer Seite gibt es auch eine schöne Karte zum Thema, auf der man die Verbreitung des Wortes in Baden sehen kann:
Neben Bibbili gibt es also noch zahlreiche weitere Wörter für Küken im Badischen. Was auffällt ist, dass sie alle auf –li oder –le enden. Das ist die badische Endung, die dem hochdeutschen –lein entspricht, eine Verkleinerungsform (“Diminutiv”). Die Endung –chen gibt es übrigend im alemannischen Sprachgebiet nicht – selbst das Mädchen heißt Maidli. Ich nehme an, dass –l(i|e) auch bei Bibbili die Verkleinerungsendung darstellt, also nur bibbi (bzw. zibbi) lautmalerisch ist. (Im Hochdeutschen haben wir ja auch pieppiep als Vogelgeräusch.)1
Bibbili ist aber bei Weitem nicht aufs Badische beschränkt. Auf einer Seite mit Schulaufsätzen von Schweizer Kindern finden sich z.B. eine Menge Treffer:
- Im nächsten Raum entwickelten sich die Bibili im Ei.
- Sie haben sehr viel Bibili und Eier. Wir durften ein Freilandbibili und zwei gezüchtete Bibili mitnehmen.
- Die Bibili sind gelb. Die Bibili sind gewachsen. Die Bibili haben schon Schwanzfedern. Die Bibili piepsen viel.
Und auch sonst scheint es in der Schweiz ein respektables Wort zu sein:
- Banker helfen Bibeli auf die Beine (blick.ch)
- Brahma Hühner-Bibeli zu verkaufen (tier-inserate.ch)
- Was macht ihr mit den Bibeli, wenn sie gross sind? Gehen sie zurück auf einen Bauernhof? (fichten.ch)
Weiter nördlich und westlich findet sich das Wort ebenfalls noch:
- Pfälzisch (Pfälzisches Wörterbuch):
- Bib, Bibi n.: 1. ‚Huhn‘, Sprache des Kleinkindes, Bib (bīb), meist in der Wiederholung Bibib (bibīb) […]
- Bibilchens-käse m.: ‚weißer Käse‘, eigentl. ‚Käse, mit dem man die Bibichen (Hühnchen) füttert‘ […]
- Bib, Bibi n.: 1. ‚Huhn‘, Sprache des Kleinkindes, Bib (bīb), meist in der Wiederholung Bibib (bibīb) […]
- Moselfränkisch & Ripuarisch (Rheinisches Wörterbuch):
- Bibb […]: 1. Lockruf für Hühner […], 2. Bibb, meist -che (-ī-) Huhn, Kosen., bes. in der Kinderspr[ache …]
- Elsässisch (Elsässisches Wörterbuch):
- Bibbelefleisch n. eig. Fl. von einem Hühnchen.
- Lothringisch (Lothringisches Wörterbuch):
- Bible […] pl. 1. Küchlein. […] – 2. Huhn in der Kindersprache […]
Für östlichere Gebiete habe ich leider keinen Onlinezugriff auf wissenschaftliche Wörterbücher. (Bairisch? Thüringisch? Sächsisch? Österreichisch?) Ein Österreichisch-Onlineprojekt führt aber Pippale auf, auch sehr ähnlich.
Wie alt das Wort ist, konnte ich leider nicht herausfinden – Grimms Wörterbuch hat keinen Eintrag dafür, Adelung auch nicht. In den mittelhochdeutschen Wörterbüchern findet sich erst recht nichts, genausowenig im althochdeutschen (dort ist ein Küken ein huoniklîn, also ein kleines Huhn). Über mögliche Gründe kann ich nur spekulieren:
Es sieht so aus, als habe es zunächst einen Lockruf gegeben, mit dem man Hühner rief, und zwar Bib(i) – ganz ähnlich wie Miez für Katzen. Daraufhin wurde der Lockruf oder das nachgemachte Piepsen als Bezeichnung für das Tier verwendet, und zwar zuerst nur in der Kindersprache – also wie Wauwau. Irgendwann begann man, die jungen Hühner mit einer Verkleinerungsform davon zu bezeichnen. Diese Verkleinerung wurde wesentlich bereitwilliger in die Erwachsenensprache aufgenommen als Bib(i) selbst. So findet sich im Pfälzischen Bib(i) als kindersprachlich, aber man bildet Formen wie Bibilchenskäse, eine Zusammensetzung mit offensichtlich existentem Bibilchen ‘Küken’. Für etwas kleines, flauschig-niedliches nahm man ein niedliches, kindliches Wort wahrscheinlich eher an als für ein ausgewachsenes Nutztier.
Ob es das Wort schon “immer” gab, oder ob es in verschiedenen Dialekten unabhängig voneinander entstanden ist, lässt sich wohl nicht feststellen. Es scheint zwar keine alten Quellen in meiner momentanen Reichweite zu geben, aber wenn das Wort kindersprachlichen Ursprungs ist, verwundert das auch nicht weiter. Wahrscheinlich hat es die alten Bezeichnungen für ‘Küken’ irgendwann verdrängt, die alten Bezeichnungen für ‘Huhn’ und ‘Hahn’ blieben aber erhalten.
So, jetzt aber Ende der Spekulation. Lokale Bezeichnungen für Küken sind in den Kommentaren hochwillkommen!