Häppscher und andere Kleinigkeiten

6. Juli 2010

Vor einiger Zeit habe ich über Kuriositäten wie Kinderlein und Häusercher spekuliert. Das sind Formen, bei denen trotz Verkleinerung ein Plural gebildet wird. In Mainz ist man bei solchen Späßen voll dabei:

Meenzer Häppscher

Süppscher als Meenzer Häppscher

Wo es im Standarddeutschen das Häppchendie Häppchen heißt, die Endung –chen bei der Mehrzahlbildung also unverändert bleibt, sagt man auf Rheinhessisch ’s Häppsche(n) die Häppscher.

Ob und wie der Plural bei Verkleinerungsformen („Diminutivformen“) markiert werden kann, hängt vom Dialekt ab. Dazu habe ich euch mal eine bunte Karte gebastelt, die für die hochdeutschen Mundarten die Formen für Apfelbäumchen im Plural zeigt: Den Rest des Beitrags lesen »

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Will sell ebber?

14. September 2009

Nummer 2 in der Reihe “Badische Wörter seltsamen Ursprungs”: ebber ‘jemand’.

[Nachtrag: Eben habe ich ein Verwendungsbeispiel in meinen Aufnahmen gefunden – es geht um erhaltene Burgen im Mittelrheintal:

ja, äh, wuhnd doo na no ebber drin? (ja, äh, wohnt da denn noch jemand drin?)

]

Mal wieder kein erkennbarer Bezug zum hochdeutschen Wort – aber dafür ähnelt es einem anderen Dialektwort auffällig: ebbis ‘etwas’, unbetont auch oft ebbs. Beide Wörter sind sogenannte “Indefinitpronomen”, also Pronomen, die nicht näher Bestimmtes bezeichnen.

2009-09-14-ebbis

Das dialektale ebbis ist historisch mit dem hochdeutschen etwas verwandt.

Das Grimmsche Wörterbuch gibt althochdeutsch ëddeshuaʒ und mittelhochdeutsch ët(e)swaʒ an, das schließlich zu unserem heutigen etwas wurde. Es kennt aber auch die Formen eppas, eppes, die es als von der “Volkssprache” assimiliert bezeichnet.

Das deutet darauf hin, dass das Wort nicht nur im Badischen auftaucht – und siehe da: In zahlreichen Dialektwörterbüchern findet es sich, z.B. im Pfälzischen (ębəs, ębis, abəs), Rheinischen (ębəs, mit der weiteren Bedeutung ‘sehr’), Elsässischen (eppis) und Lothringischen (èpəs, èbs, èbəs). Im Lothringischen Wörterbuch steht als Anmerkung dabei: Kommt in fast allen ober- und mitteldeutschen Maa. [=Mundarten] vor”. Ostmitteldeutsche Wörterbücher gibt’s leider nicht online, Hinweise dazu werden dankbarst aufgenommen!

2009-09-14-ebber

Jetzt aber zu ebber! Das Wort ähnelt ebbis nicht umsonst, es geht nämlich auf eine ähnliche Grundlage zurück:

  1. mhd. ëtes-was
  2. mhd. ëtes-wër

Im Mittelhochdeutschen (und auch schon früher) wurden die Indefinitpronomen also regelmäßig gebildet, und zwar aus etes und dem entsprechenden Fragepronomen (was für Dinge, wer für Menschen).

Außerdem konnte etes auch vor –lîch (etlich), –(‘irgendwo’), –war (‘irgendwohin’), –wenne (‘manchmal’) und –wie (‘irgendwie’) stehen, immer mit der unbestimmten Bedeutung. Leider bin ich grade fern von meinem etymologischen Wörterbuch, aber wenn wir wieder glücklich vereint sind, werde ich mal nachschauen, ob für etes zu einer früheren Zeit eine konkretere Bedeutung belegt ist.

ebber ist also eine Variante von etwer, das es im Neuhochdeutschen nicht mehr gibt. Statt dessen verwenden wir jemand oder irgendwer.

Wie ebbis ist auch ebber weiter verbreitet: Im Pfälzischen (ębər, ębɒr), Elsässischen (epper) und Lothringischen (èbər). Das Elsässische kennt darüber hinaus auch noch eppe ‘etwa’ und eppen(e) ‘irgendwann, von Zeit zu Zeit’ (wahrscheinlich aus mhd. eteswenne).

Von tw zu bb

Wie konnte aber etw… zu eb… werden? Die Grimms sprechen von einer Assimilation, aber hier wird ja nicht t zu w oder w zu t, sondern es verändern sich gleich beide Laute. Das ist eine sogenannte “reziproke Assimilation”, bei der sich die beiden Laute gegenseitig beeinflussen. Das neue [b] beinhaltet also Merkmale der beiden vorherigen Laute (grün = Stimmhaftigkeit, blau = Artikulationsort, orange = Artikulationsart):

  • <t> ist ein stimmloser alveolarer Plosiv [t]
  • <w>
    • war früher mal ein labialisierter stimmhafter velarer Approximant (=Halbvokal) [w] – wie heute noch im Englischen –
    • und ist jetzt ein stimmhafter labiodentaler Frikativ [v]
  • <b> ist ein stimmhafter bilabialer Plosiv

Nun ist es etwas schwierig zu sagen, was genau wann passiert ist. Ist ebber entstanden, als wir noch ein [w] hatten, oder erst, als es schon ein [v] war? Ich tippe auf ersteres. Dann hätte das [t] seinen Artikulationsort verlagert, um dem [w] entgegenzukommen. Das [w] ist velar, das heißt der Zungenrücken ist bei der Bildung hinten am Gaumen, aber wichtiger ist hier, dass es labialisiert ist. Das bedeutet, dass man bei der Bildung beide Lippen benutzt. Wenn man zur Bildung eines Plosivs, was das [t] ja ist, die Lippen einsetzt, dann wird er bilabial und somit ein [b] oder [p]. Wir hätten also den Zwischenschritt *ebwas.

In einem zweiten Schritt hätte dann das [b] auf das [w] eingewirkt und es in seiner Artikulationsart verändert: Vom Halbvokal zum Plosiv. Et voilà, ebbas.1 Übrigens: Heute schreibt man zwar noch <bb>, aber in Wirklichkeit ist es längst auf einen b-Laut zusammengeschrumpft. (Den Vorgang nennt man “Degemination”.)

Das [a] wurde später oft abgeschwächt, sodass man dialektal meist ebbes hat. Woher das alemannische [i] stammt, kann ich leider nicht schlüssig erklären. Das Alemannische ist aber sehr i-phil, vielleicht wurde die abgeschwächte Endung einfach als ehemaliges [i] analysiert und dann wieder verstärkt. Das ist jetzt aber reine Spekulation!

Einen ganz ähnlichen Vorgang kann man übrigens zum Lateinischen hin beobachten: aus indogermanischem *dw wurde im Lateinischen b (z.B. *dwis ‘zweimal’ > bis). Im Deutschen hingegen haben wir das ursprüngliche *dw beibehalten, es wurde lediglich durch andere Lautwandelprozesse verändert (indogerm. *dw > germ. tw (1. Lautverschiebung) > ahd. zw (2. Lautverschiebung)).

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Über flauschige Bibbili

3. August 2009

Ich bin gerade dabei, die Dialektaufnahmen, die ich für meine Magisterarbeit gemacht habe, zu analysieren. Dabei suche ich zu jedem Wort die althochdeutsche Form – auch zu Wörtern, von denen ich gar nicht weiß, ob es sie im Althochdeutschen schon gab.

Momentan halte ich mich gerade ein bißchen beim Wort Bibbili auf, dem badischen Wort für ‘Küken’.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia

Weil die Bezeichnung so offensichtlich anders ist als die hochdeutsche Form, versuchen die DialektsprecherInnen oft eine etymologische Erklärung dafür zu finden. Dabei wird meistens der Bibbiliskäs angeführt (laut Duden Bibeleskäs(e)), ein quarkähnlicher Rohmilchkäse – er taugt zur Erklärung des Wortes allerdings nicht, da er nach den Tieren benannt ist: Mit ihm wurden die Küken früher gefüttert.

Friedel Scheer-Nahor von der Uni Freiburg hat sich dem Bibbili 2001 in einem Artikel für die Badische Zeitung gewidmet. Sie führt das Wort auf eine Lautmalerei zurück:

Wer einmal gesehen und gehört hat, wie eine Kükenschar hinter der Glucke herläuft, wird sich denken können, dass sowohl Bibbili als auch Zibbili treffende lautmalerische Bildungen sind.

Auf ihrer Seite gibt es auch eine schöne Karte zum Thema, auf der man die Verbreitung des Wortes in Baden sehen kann:

Leserumfrage Badische Zeitung

Leserumfrage Badische Zeitung (mit freundlicher Genehmigung von Friedel Scheer-Nahor)

Neben Bibbili gibt es also noch zahlreiche weitere Wörter für Küken im Badischen. Was auffällt ist, dass sie alle auf –li oder –le enden. Das ist die badische Endung, die dem hochdeutschen –lein entspricht, eine Verkleinerungsform (“Diminutiv”). Die Endung –chen gibt es übrigend im alemannischen Sprachgebiet nicht – selbst das Mädchen heißt Maidli. Ich nehme an, dass –l(i|e) auch bei Bibbili die Verkleinerungsendung darstellt, also nur bibbi (bzw. zibbi) lautmalerisch ist. (Im Hochdeutschen haben wir ja auch pieppiep als Vogelgeräusch.)1

Bibbili ist aber bei Weitem nicht aufs Badische beschränkt. Auf einer Seite mit Schulaufsätzen von Schweizer Kindern finden sich z.B. eine Menge Treffer:

  • Im nächsten Raum entwickelten sich die Bibili im Ei.
  • Sie haben sehr viel Bibili und Eier. Wir durften ein Freilandbibili und zwei gezüchtete Bibili mitnehmen.
  • Die Bibili sind gelb. Die Bibili sind gewachsen. Die Bibili haben schon Schwanzfedern. Die Bibili piepsen viel.

Und auch sonst scheint es in der Schweiz ein respektables Wort zu sein:

  • Banker helfen Bibeli auf die Beine (blick.ch)
  • Brahma Hühner-Bibeli zu verkaufen (tier-inserate.ch)
  • Was macht ihr mit den Bibeli, wenn sie gross sind? Gehen sie zurück auf einen Bauernhof? (fichten.ch)

Weiter nördlich und westlich findet sich das Wort ebenfalls noch:

  • Pfälzisch (Pfälzisches Wörterbuch):
    • Bib, Bibi n.: 1. ‚Huhn‘, Sprache des Kleinkindes, Bib (bīb), meist in der Wiederholung Bibib (bibīb) […]
    • Bibilchens-käse m.: ‚weißer Käse‘, eigentl. ‚Käse, mit dem man die Bibichen (Hühnchen) füttert‘ […]
  • Moselfränkisch & Ripuarisch (Rheinisches Wörterbuch):
    • Bibb […]: 1. Lockruf für Hühner […], 2. Bibb, meist -che (-ī-) Huhn, Kosen., bes. in der Kinderspr[ache …]
  • Elsässisch (Elsässisches Wörterbuch):
    • Bibbelefleisch n. eig. Fl. von einem Hühnchen.
  • Lothringisch (Lothringisches Wörterbuch):
    • Bible […] pl. 1. Küchlein. […] – 2. Huhn in der Kindersprache […]

Für östlichere Gebiete habe ich leider keinen Onlinezugriff auf wissenschaftliche Wörterbücher. (Bairisch? Thüringisch? Sächsisch? Österreichisch?) Ein Österreichisch-Onlineprojekt führt aber Pippale auf, auch sehr ähnlich.

Wie alt das Wort ist, konnte ich leider nicht herausfinden – Grimms Wörterbuch hat keinen Eintrag dafür, Adelung auch nicht. In den mittelhochdeutschen Wörterbüchern findet sich erst recht nichts, genausowenig im althochdeutschen (dort ist ein Küken ein huoniklîn, also ein kleines Huhn). Über mögliche Gründe kann ich nur spekulieren:

Es sieht so aus, als habe es zunächst einen Lockruf gegeben, mit dem man Hühner rief, und zwar Bib(i) – ganz ähnlich wie Miez für Katzen. Daraufhin wurde der Lockruf oder das nachgemachte Piepsen als Bezeichnung für das Tier verwendet, und zwar zuerst nur in der Kindersprache – also wie Wauwau. Irgendwann begann man, die jungen Hühner mit einer Verkleinerungsform davon zu bezeichnen. Diese Verkleinerung wurde wesentlich bereitwilliger in die Erwachsenensprache aufgenommen als Bib(i) selbst. So findet sich im Pfälzischen Bib(i) als kindersprachlich, aber man bildet Formen wie Bibilchenskäse, eine Zusammensetzung mit offensichtlich existentem BibilchenKüken’. Für etwas kleines, flauschig-niedliches nahm man ein niedliches, kindliches Wort wahrscheinlich eher an als für ein ausgewachsenes Nutztier.

Ob es das Wort schon “immer” gab, oder ob es in verschiedenen Dialekten unabhängig voneinander entstanden ist, lässt sich wohl nicht feststellen. Es scheint zwar keine alten Quellen in meiner momentanen Reichweite zu geben, aber wenn das Wort kindersprachlichen Ursprungs ist, verwundert das auch nicht weiter. Wahrscheinlich hat es die alten Bezeichnungen für ‘Küken’ irgendwann verdrängt, die alten Bezeichnungen für ‘Huhn’ und ‘Hahn’ blieben aber erhalten.

So, jetzt aber Ende der Spekulation. Lokale Bezeichnungen für Küken sind in den Kommentaren hochwillkommen!

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Von Pentekoste zu Pfingsten: Die 2. Lautverschiebung schlägt zu

1. Juni 2009

Dieser Artikel ist ins neue Sprachlog umgezogen und ab sofort hier zu finden!


Rasenmontag

24. Februar 2009

Den Rosenmontag habe ich in weiser Voraussicht fern von Mainz verbracht – was mich nicht daran hindert, mal wieder ein Blick ins etymologische Wörterbuch zu werfen. (Bei Olschansky steht auch was dazu, ich hab sie nur nicht mit auf die Flucht genommen. Und, natürlich, bei den Grimms.)

Man ahnt es schon, mit Rosen hat der Tag nichts zu tun – im Rheinischen hieß er, laut Kluge, ursprünglich rasen(d)montag, wobei das Partizip Präsens rasend soviel wie ‚tollend‘ bedeutete.1 Komisch, dass das a im Hochdeutschen zum o wurde? Das Rheinische Wörterbuch hilft: es gibt als Aussprache rōsənt an, und unter diesem Lemma findet sich auch:

rose Mondag Fastnachtsmontag Rip2 noch vielfach auf dem Lande, aber schon vielfach unter dem Einfluss der Stadt Köln Rusemondag ‚Rosenmontag'“

Wahrscheinlich ist ruse einfach eine Aussprachevariante, das konnte ich bisher noch nicht verifizieren.

Das Rheinische Wörterbuch kennt auch noch ein paar andere Montage:

  • der schwere Montag ist der Montag „nach den hl. drei Königen, an welchen früher alle Gemeindebeamten usf. schwören mussten“ – also schon wieder so ein falscher Freund, schwören hat im Rheinischen nämlich viele verschiedene Varianten, darunter auch eine mit e
  • der goue Montag ist der Montag in der Karwoche
  • der bloən Montag konkurriert mit dem Rosenmontag, er bezeichnet in einigen Regionen auch den Fastnachtsmontag

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