Was macht eigentlich … leaken?

19. Dezember 2011

Die Nominierungsphase für den Anglizismus des Jahres 2011 läuft (noch bis zum 31.12.!) – eine schöne Gelegenheit, mal besinnlich zu werden und nachzuschauen, wie es dem Gewinner von letztem Jahr ergangen ist: leaken. Es gab damals zwei recht ausführliche Analysen von suz und mir, denen aber für 2010 die Daten fehlten: Das Wort trat ja erst im Herbst so richtig ans Licht der breiten Öffentlichkeit, und das DeReKo (eine enorm große Sammlung von Zeitungstexten, zugänglich via Cosmas II) umfasste damals nur die erste Jahreshälfte. Mittlerweile sind die Daten da und ich hab mal reingeschaut, allerdings mit ernüchterndem Ergebnis: Das Verb leaken tritt 2010 grade mal zweimal auf, inklusive einer scherzhaften Verwendung:

  • Ulmen schlüpft in die Rolle seiner Kunstfigur Uwe Wöllner und erklärt aktuelle Begriffe wie „Leaking“ („Wenn ich niese, zum Beispiel, leake ich meine Erkältung“). (Mannheimer Morgen, 13.12.2010, S. 28)
  • Wiki leakt weiter. Die «Rundschau» reist nach Island zu Mitstreitern von Julian Assange. (St. Galler Tagblatt, 15.12.2010, S. 12)

Im Jahr 2011 (erste Jahreshälfte) dann bisher drei Treffer, einer scherzhaft:

  • Leaken, das heisst etwas vor der Veröffentlichung verbreiten, sei «grundsätzlich ein anarchistischer Akt». (St. Galler Tagblatt, 28.01.2011, S. 9)
  • Merke: „Ein kleiner Wiki leakt in jedem von uns!“ (Nürnberger Nachrichten, 03.03.2011, S. 8)
  • Wohin der Weg eines transparenteren Staates führen könnte, zeigte eine Äußerung des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar: „Wenn Möglichkeiten zur Freigabe von Daten erleichtert werden, mindert das den Druck, Daten zu leaken.“ (Rhein-Zeitung, 18.04.2011, S. 32)

Für die Vorjahre sieht das immerhin noch schlechter aus, wie ich in meinem letztjährigen Artikel schon erwähnt habe (2005 gibt es drei Verwendungen für Computerspiele/Musik, die aus der Wikipedia stammen, das war’s), aber Tendenzen kann man daraus nun wirklich keine ableiten.

In meiner Datennot habe ich auf GoogleNews zurückgegriffen. Das ist aus mehreren Gründen keine besonders gute Idee, darunter z.B.:

  •  Man hat keine Ahnung, wieviele Textwörter insgesamt durchsucht werden. Da das von Jahr zu Jahr variieren kann, könnte die relative Vorkommenshäufigkeit eine ganz andere sein, als die absolute nahelegt. Wenn man davon ausgeht, dass die Textzahl jedes Jahr steigt, dann ist auch der Anstieg von leaken nicht mehr so ungewöhnlich.
  • Die Datierung ist unzuverlässig. Der Treffer, den ich für 2002 hatte, bezieht sich z.B. anachronistischerweise auf Wikileaks und stammt dann auch in Wirklichkeit von 2010. Wer weiß, wie viel da sonst noch im Argen liegt.

Nichtsdestotrotz habe ich die Suche unternommen, und zwar mit der Suchanfrage

„leaken“ OR „leake“ OR „leakst“ OR „leakt“ OR „leakte“ OR „leaktest“ OR „leaktet“ OR „leakten“ OR „geleakt“ OR „geleakte“ OR „geleakten“ OR „geleakter“ OR „geleaktes“ OR „geleaktem“

Die sollte so ziemlich alle erwartbaren verbalen und adjektivischen Vorkommen abdecken. Für die letzten zehn Jahre findet man dann die folgenden Ergebnisse in absoluten Zahlen (von mir bereinigt):


Einen Anstieg kann man daraus, wie bereits bemerkt, nicht ableiten, aber man kann sich das Verhältnis der verschiedenen Anwendungsbereiche zueinander anschauen. Die Einteilung ist recht grob, weil ich bei Filmen, Musik und Technik nicht sauber aussortiert habe, wann es sich um ein geleaktes Produkt handelte und wann um Informationen dazu (sind auch teilweise im roten Balken gelandet, aber nicht so furchtbar systematisch) – wenn jemand Zeit hat … Momentan sieht es so aus, als sei prozentual nur die Film-Musik-Technik-Bedeutung etwas gestiegen (2010 56%, 2011 65%) und die Übertragung auf die Informationsbedeutung ließe noch auf sich warten (falls sie jemals so richtig kommt; 2010 25%, 2011 24%). Vielleicht tut sich aber, wie gesagt, etwas im Überschneidungsbereich „Informationen zu Filmen, Musik, Technik“.

Ich fürchte, wir müssen in einem Jahr wieder nachschauen, wie es dem Leaken so geht.

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Witwe vs. Witwerin

13. September 2011

Im Sprachlog geht es zur Zeit um die Form Witwerin (statt Witwe) und ihre möglichen Ursachen. (Kurzversion: Es handelt sich um eine Analogiebildung zu all den anderen abgeleiteten Formen auf –in, die an Personenbezeichnungen auf –er angehängt werden.)

In den Kommentaren kam die Frage auf, ob Witwe und Witwerin einmal gleichberechtigt nebeneinander existierten:

Waren damals die Witwerin ein glecihberechtigtes Synonym zur Witwe? Oder war Witwe immer das Grundwort und die Witwerin war immer eine zweifelhafte Nebenform. Wann und warum setzte sich die Witwe durch?

Nun haben wir leider keine perfekten historischen Korpora, aber ich glaube, dass das, was es so gibt, auch ein ganz gutes Bild vermittelt.1 Ich habe mal bei GoogleBooks alle deutschsprachigen Bücher nach Jahrhunderten getrennt durchsucht, beginnend mit dem 16. Jahrhundert. (Vorher sah es ja bekanntlich mau aus mit dem Buchdruck.)

Kaum einer mag die Witwerin

Die Ergebnisse zeigen recht deutlich, dass Witwerin immer nur eine (mit gutem Willen) Nebenform war: Den Rest des Beitrags lesen »


1/2 7 vs. 7 1/2 Uhr

27. Mai 2011

Achim hat kürzlich in einem Kommentar nach einer speziellen Uhrzeitangabe gefragt:

Mir ist bei den Uhrzeiten eingefallen, dass früher (man findet es z.B. auf alten Theaterzetteln in Programmheften) Uhrzeitangeben wie „7 1/2 Uhr abends“ üblich waren. Ich tippe ja, dass das „19.30“ und nicht „18.30“ bedeutet, aber hat da jemand Handfesteres als meine Vermutung? Ist ja interessant, dass das neben „halb acht“ existiert hat.

Die Schreibweise mit nachgestelltem ½ findet sich tatsächlich häufig in älteren Texten, so zum Beispiel hier:

... Von München treffen diese Packwägen am Mittwoch um 10 1/2, und am Sonntag um 7 1/2 Uhr Abends dahier ein, und gehen am Mittwoch um 10 3/4 und am Sonntag um 7 3/4 Uhr Abends nach Regensburg ab.

Dass es sich nicht um eine Variante von ½ 7 (halb sieben) handelt, wird schnell klar, wenn man sich Den Rest des Beitrags lesen »


[Lesetipp] Fugen-s auf dem Vormarsch

19. Mai 2011

Heute mal ein Lesetipp in eigener Sache: Die Pressestelle der Uni Mainz hat eine, wie ich finde ganz gelungene, Pressemitteilung zu meinem Promotionsprojekt veröffentlicht. Wer sich also dafür interessiert, woran ich so arbeite, kann es hier nachlesen gehen.


Wir gedenken an den Tod von Jesus

21. April 2011

Spiegel online berichtet darüber, dass ein Pfarrer eine Todesanzeige für Jesus geschaltet hat und zur Gedenkfeier einlädt. So weit, so trivial. Allerdings ist der Text mit einem Bild der Anzeige illustriert, und das fand ich spannend. Da heißt es nämlich:

Wir gedenken an den Tod von

Jesus Ben Josef

genannt der “König der Juden”
*04 v. Chr. †34 n. Chr.

Das Verb gedenken in der Bedeutung ‘sich ehrfurchtsvoll erinnern an’ geht in meinem Kopf nämlich nur mit einem Objekt im Genitiv oder Dativ zusammen, also Wir gedenken des Todes von … oder Wir gedenken dem Tod von … Letzteres noch nicht ganz so salonfähig, aber ich prognostiziere gute Aussichten, weil wir generell Genitivobjekte abbauen. (Auch wenn sich der unsägliche Bastian Sick dabei im Grab umdr darüber geifernd ereifert.)

Erster Gedanke also: Man hat hier an denken oder die Wendung in Gedenken an gedacht und Konsequenzen daraus gezogen. Zweiter Gedanke: Stop! Wer weiß, das kann auch alt sein. Den Rest des Beitrags lesen »