Witwe vs. Witwerin

13. September 2011

Im Sprachlog geht es zur Zeit um die Form Witwerin (statt Witwe) und ihre möglichen Ursachen. (Kurzversion: Es handelt sich um eine Analogiebildung zu all den anderen abgeleiteten Formen auf –in, die an Personenbezeichnungen auf –er angehängt werden.)

In den Kommentaren kam die Frage auf, ob Witwe und Witwerin einmal gleichberechtigt nebeneinander existierten:

Waren damals die Witwerin ein glecihberechtigtes Synonym zur Witwe? Oder war Witwe immer das Grundwort und die Witwerin war immer eine zweifelhafte Nebenform. Wann und warum setzte sich die Witwe durch?

Nun haben wir leider keine perfekten historischen Korpora, aber ich glaube, dass das, was es so gibt, auch ein ganz gutes Bild vermittelt.1 Ich habe mal bei GoogleBooks alle deutschsprachigen Bücher nach Jahrhunderten getrennt durchsucht, beginnend mit dem 16. Jahrhundert. (Vorher sah es ja bekanntlich mau aus mit dem Buchdruck.)

Kaum einer mag die Witwerin

Die Ergebnisse zeigen recht deutlich, dass Witwerin immer nur eine (mit gutem Willen) Nebenform war: Den Rest des Beitrags lesen »

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Auf dem Holzweg mit dem Holzweg

25. Juli 2011

Das Bildblog hat einen taz-Blogartikel über Terrorexperten verlinkt, der den Titel »Plädoyer zur Abschaffung des Terrorexperten. Selten waren so viele so schnell auf dem Holzweg« trägt und eine bezeichnende Illustration besitzt: Einen Steg aus Holz, der durch ein Moor führt.

Die Bildwahl ist ein schöner Hinweis darauf, wie die Bedeutung der Wendung auf dem Holzweg sein ‘sich irren’ mit der Zeit intransparent wurde – und zwar, weil das zugehörige Konzept für die breite Bevölkerung immer unwichtiger wurde und den meisten Leuten heute unbekannt ist.

Ein Holzweg, wie in der Wendung gebraucht, ist nämlich nicht ein ‘Weg aus Holz’, sondern ein ‘Weg für Holz’. Also wie ein Holzlager, nicht wie ein Holzbein. Und das kam so: Den Rest des Beitrags lesen »


Schschschschschschschschschsch

22. Juli 2011

Beim Herumlesen in frühneuhochdeutschen Texten habe ich eine charmante Betrachtung über das Graphem <sch> gefunden:

In: Der Hochdeutsche Schlüszel Zur Schreibrichtigkeit oder Rechtschreibung (Leipzig, 1648)

Wann das (ch) auf ein (s) folget/so wird ein grobzischender Laut daraus/daß es fast seltzsam ist / wie doch solche drey Búchstaben sich zu der zischenden Stimme gefunden haben ; weil weder einer alleine/noch sie zusammen solchen Tón zugében vermögen : werden demnach ausgesprochen wie das Hebraische ש, als: erfrischen/&c.

Das <sch> ist ein sogenannter “Trigraph”: Man benutzt drei Buchstaben, um einen bedeutungsunterscheidenden Laut (“Phonem”) aufzuschreiben. Das heißt man schreibt z.B. <Sau>, aber <Schau>, dabei werden beide Wörter nur mit jeweils zwei Lauten (einem Frikativ und einem Diphthong) ausgesprochen: /za̯ʊ/ und /ʃa̯ʊ/. Ähnlich geht es mit <ch> (<Bach>, gesprochen /χ/) und <ng> (<hängen>, gesprochen /ŋ/).

Und, wie klug bemerkt, andere Schriftsysteme machen keine derartigen Umstände. Das hebräische Alphabet hat das z.B. <ש> (das allerdings sowohl als [s] als auch als [ʃ] ausgesprochen werden kann), das arabische das <> und das kyrillische das <ш>. Und auch das lateinische Alphabet kann man prima anpassen, wie zum Beispiel das Rumänische mit <ș> zeigt.

Der Autor wunderte sich über die seltsame Schreibpraxis, mit <s>, <c> und <h> einen Laut aufzuschreiben, der sich nicht aus den dreien zusammensetzt. Das ist aber gar kein so großes Hexenwerk – in Wirklichkeit reflektiert sie eine ältere Aussprache. Unser heutiger Laut /ʃ/ kommt durch zwei Lautwandelprozesse zustande: Den Rest des Beitrags lesen »


[Linktipp] Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz

21. Januar 2011

Ich war mir erst nicht sicher, ob ich Anatol Stefanowitschs Petition gegen die Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz mitzeichnen sollte. Ich fand die ganze Kampagne von BILD und VDS so albern, dass es mir unnötig erschien, denen noch weitere Aufmerksamkeit in Form von Gegenaktionen zukommen zu lassen.

Dann habe ich die Kommentare gelesen. Und eine Nacht drüber geschlafen. Heute morgen habe ich gleich als erstes unterschrieben.

Es ist skurril, krass, abartig und leider überhaupt nicht überraschend, wie sich die Befürworter der Deutsch-ins-GG-Aktion gebärden. Da haben wir, ganz typisch, den Verweis darauf, dass Anatol Stefanowitsch keinen deutschen Namen habe – was schon mal überhaupt keine Relevanz hat –, daraus resultierend dann der Schluss, dass er kein Deutscher sei, und daraus wird dann abgeleitet, dass er eh nichts zum Thema zu melden habe bzw. dass er ja dann inhärent “gegen” das Deutsche sei. Das kennt man. Bei der StuTS hat Prof. Wiese, die ja Untersuchungen zu Kiezdeutsch macht, von Drohmails erzählt, die sie bekommt. Ein Beispiel waren Aussagen wie “Sie haben zwar einen deutschen Namen, aber wahrscheinlich sind Sie …” und ähnliches. Ein deutscher Name scheint für solche Leute un-glaub-lich wichtig zu sein.

Dann gibt es die Leute, die die Verankerung im Grundgesetz nicht für eine rein symbolische Handlung halten, sondern für eine konkrete Handhabe, z.B. gegen Anglizismen, dagegen, dass Geschäfte ihre Produkte ausschließlich in einer Fremdsprache beschriften (was zumindest für Lebensmittel Unsinn ist), gegen die “Kreolisierung” des Deutschen, oder gar gegen den Sprachtod. Wie A.S. schon gründlich ausgeführt hat, ist das alles entweder absurd oder irrelevant.

Eine Verankerung des Deutschen im Grundgesetz definiert zudem noch lange nicht, was Deutsch eigentlich ist. Wie jede natürliche (und auch die meisten künstlichen) Sprache(n) verändert sich das Deutsche permanent. Meist sind dabei die Dinge, die in der Öffentlichkeit als sehr große Veränderungen wahrgenommen werden, eher irrelevant für das Sprachsystem (z.B. Rechtschreibreform). Aber egal welche Rolle sie für den Sprachwandel spielen: Er ist unaufhaltbar. Und warum sollte man ihn auch aufhalten wollen? Was ist denn so schlimm daran, dass sich eine Sprache verändert? Eine Sprache, die sich nicht mehr verändert, ist tot.

Und: Eine Sprache kann man nicht auf ihren Ausgangszustand zurückführen. Was wäre das denn? Für die Leute, die sich da ereifern, ist in der Regel das Deutsch ihrer Schulzeit das Maß aller Dinge. Bedenkt man aber, dass die alle ganz unterschiedlichen Alters sind, und dass sich auch schon vor langer Zeit Leute derart ereifert haben, wird langsam klar, dass man immer weiter zurückgehen müsste … ins Frühneuhochdeutsche, wo es noch gar keine Standardsprache gab, ins Mittelhochdeutsche, wo die Situation noch uneinheitlicher war, ins Althochdeutsche und dann … dann kommen die Sprachstufen, für die wir keine schriftlichen Quellen haben. Wird schwer, das zu sprechen. (Zumal, komm, schriftliche Quellen als Vorbild für gesprochene Sprache? Haha.)

Ich könnte mich noch weiter ereifern, aber das spare ich mir lieber. Meine Bitte: Schaut euch die Links an, bildet euch eine Meinung und entscheidet euch ganz bewusst, ob ihr die Petition mitzeichen wollt oder nicht. Ich habe es getan, unter anderen als bewusstes Statement gegen diesen ganzen Kommentarmüll.

[Update 25.1.2011: Suz hat einen sehr klugen Beitrag geschrieben, in dem sie die Argumente der Befürworter und Gegner von allen Seiten beleuchtet.]


Wörter auf -nf

10. Oktober 2010

Vor einer Weile kam jemand mit der Suchanfrage

wörter mit endung nf

hierher. Offline könnte man so etwas mit einem sogenannten „rückläufigen Wörterbuch“ herausfinden. Aber was’n Stress!

Meine Online-Standardlösung in solchen Fällen ist canoo.net. Ging hier aber erstmal nicht, denn da muss man mindestens drei Buchstaben eingeben. Die Anfrage *nf führt zu “Bitte seien Sie genauer: Wildcards sind erst ab 3 Buchstaben erlaubt”. Wie nervig, es will ja keiner tausend (= 30) Abfragen mit *anf, *bnf, … machen!

Aber elexiko vom Institut für Deutsche Sprache ist kooperativ, es spuckt 15 Treffer aus. Sucht man sich davon nur die einfachen Wörter aus, schnurrt die Zahl derer auf –nf ganz schnell auf vier zusammen: Hanf, Senf, fünf und der Eigenname Genf. Sind das schon alle? Den Rest des Beitrags lesen »