Witwe vs. Witwerin

13. September 2011

Im Sprachlog geht es zur Zeit um die Form Witwerin (statt Witwe) und ihre möglichen Ursachen. (Kurzversion: Es handelt sich um eine Analogiebildung zu all den anderen abgeleiteten Formen auf –in, die an Personenbezeichnungen auf –er angehängt werden.)

In den Kommentaren kam die Frage auf, ob Witwe und Witwerin einmal gleichberechtigt nebeneinander existierten:

Waren damals die Witwerin ein glecihberechtigtes Synonym zur Witwe? Oder war Witwe immer das Grundwort und die Witwerin war immer eine zweifelhafte Nebenform. Wann und warum setzte sich die Witwe durch?

Nun haben wir leider keine perfekten historischen Korpora, aber ich glaube, dass das, was es so gibt, auch ein ganz gutes Bild vermittelt.1 Ich habe mal bei GoogleBooks alle deutschsprachigen Bücher nach Jahrhunderten getrennt durchsucht, beginnend mit dem 16. Jahrhundert. (Vorher sah es ja bekanntlich mau aus mit dem Buchdruck.)

Kaum einer mag die Witwerin

Die Ergebnisse zeigen recht deutlich, dass Witwerin immer nur eine (mit gutem Willen) Nebenform war: Den Rest des Beitrags lesen »

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Vokalharmonisches Türkisch

6. März 2011

Dieser Artikel ist ins neue Sprachlog umgezogen und ab sofort hier zu finden!


[Buchtipp] The Unfolding of Language (Du Jane, ich Goethe)

1. September 2009

Language is mankind’s greatest invention – except, of course, that it was never invented. (Guy Deutscher)

Schon wieder ein Buchtipp! Ui! Heute will ich Euch “The Unfolding of Language” von Guy Deutscher ans Herz legen. Ich hab’s auf Englisch gelesen, es gibt aber auch eine deutsche Übersetzung: “Du Jane, ich Goethe”. Keine Angst, der Inhalt wurde bedeutend besser übersetzt als der Titel befürchten lässt, ich hab mal in der Buchhandlung reingelesen.

The Unfolding of Language

The Unfolding of Language

Worum geht es? Darum, wie Sprache entsteht und sich verändert. Deutscher hat als großes Ziel vor Augen zu erklären, wie komplizierte Satzstrukturen und Grammatik entstanden sein könnten. Da die Entstehung der Sprache viel zu lange her ist, um darüber irgendwelche Aussagen zu treffen, wählt Deutscher “neuere” Beispiele aus ganz verschiedenen Sprachen, nur wenige Jahrhunderte oder Jahrtausende alt. Die allgemeinen Prinzipien, die darin wirken, vermutet er auch schon zu früheren Zeiten. Der unter Laien verbreiteten Ansicht, dass unsere Sprache einmal perfekt war und jetzt nur noch verfällt, widerspricht er entschieden.

Das Buch kommt komplett ohne Fachtermini aus – und ist dennoch wissenschaftlich fundiert. (Grammatikalisierung, Analogiebildung und Ökonomie spielen z.B. eine große Rolle.) Ich hatte eine Menge Spaß beim Lesen, und das, obwohl ich die meisten präsentierten Fakten und Gedanken schon kannte – es ist einfach richtig gut geschrieben und clever aufgebaut. Mein persönliches Highlight war die Theorie zur Entstehung der Wurzelkonsonanten im Arabischen, ein Thema, über das ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte.

Deutschen würde ich übrigens eher zur deutschen Ausgabe raten, die keine bloße Übersetzung ist. Viele Grundlagen werden nämlich im Original an kleinen Beispielen aus dem Englischen erklärt. Für die deutsche Übersetzung wurde, wo es möglich war, nach deutschen Beispielen gesucht, die das gleiche zeigen. So geht es zum Beispiel einmal darum, dass im Englischen die Entwicklung von th zu f eigentlich ganz naheliegend ist und auch in einigen Dialekten vorkommt. Den Laut th gibt es im Deutschen aber nicht, so dass schließlich p zu b gewählt wurde, etwas, das man z.B. im Hessischen beobachten kann.

Wer sich für Sprache und Sprachen interessiert, dem kann ich das Buch wirklich nur empfehlen!


Unförmige Gurken und zusammengewachsene Kirchen

28. Mai 2009
Rhein-Neckar-Zeitung, 28.5.2009

Rhein-Neckar-Zeitung, 28.5.2009

Na also! Es kann doch nicht sein, dass man jeden Morgen einen Pressespiegel erstellt und dabei nie auf bemerkenswerte Spracheigenheiten stößt! Diese hier wurde zwar im Schplock schon lang und breit besprochen, aber dass zusammengewachsene Kirchen auf dem Lebensmittelmarkt auf Ablehnung stoßen, ist durchaus eine Meldung wert:

Kopie von gurken-groß

Guten Appetit und frohe Mittagspause!


Dagegen ist kein Mittel gewachsen

22. April 2009

Auf der Fahrt zur DGfS-Tagung im März fiel mir folgendes “Faltblatt Ihr Reiseplan” in die Hand:
mittelgewachsen1

Es dauerte eine ganze Weile, bis mir klar wurde, woher mein Unbehagen stammte: Statt kein Kraut gewachsen steht in der Werbeanzeige kein Mittel. Seltsam, zumal es um ein pflanzlich basiertes Mittel geht, Kraut also vollkommen angemessen gewesen wäre. Lange habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, ob es nun Absicht (dazu schien es mir zu unauffällig) oder ein Versehen (dazu schien es mir zu professionell) war. Oder ob sich die Wendung gar verändert? Letzteres ist schnell überprüfbar, eine kurze Googelei führt zu 39 Treffern1 für “kein Mittel gewachsen” – ein paar Kostproben:

Die Suche nach “kein Kraut gewachsen” erzielt hingegen 38.500 Treffer – sieht also so aus, als sei es eher ein Versprecher/Verschreiber als ein Wandelprozess. Wie kamen die Leute aber auf Mittel, warum wird die Vertauschung doch relativ häufig gemacht?

Wahrscheinlich hat das mit anderen Wendungen zu tun, die etwas ähnliches ausdrücken wie dagegen ist kein Kraut gewachsen, z.B. da(gegen) hilft kein Mittel, es gibt kein Mittel gegen X, etc. Die große inhaltliche Ähnlichkeit führt dazu, dass Kraut leicht gegen Mittel ausgetauscht werden kann. Das nennt man “Kontamination”. Weitere Beispiele2 sind:

(1) Sei mir nicht übel. < Sei mir nicht böse + Nimm’s mir nicht übel

(2) Er ist mit auf die Pelle getreten. < Er ist mir auf die Pelle gerückt + Er ist mir auf die Füße getreten

Das Weleda-Rätsel ist übrigens gelöst, das Unternehmen hat mir auf eine Anfrage geantwortet:

Es wurde in der Werbeanzeige für Ferrum phosphoricum comp. absichtlich „Kraut“ durch „Mittel“ ersetzt, weil es ein wenig irritiert wodurch die Aufmerksamkeit erhöht wird.

Traurige Nachrichten, macht mich das doch zum unwilligen Werkzeug der Werbekampagne. Glücklicherweise ist die Erkältungssaison erstmal vorbei, sodass sich hier hoffentlich auch niemand beworben fühlt.

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