Anglizismus des Jahres: Soll man adden adden?

adden ist ein schwieriger Kandidat für den Anglizismus des Jahres 2011. Wie von vielen Seiten schnell bemerkt wurde, ist das Wort in gewissen Kreisen schon seit langem recht verbreitet – so zum Beispiel für das Hinzufügen von Kontakten bei ICQ (danke für den Hinweis, Katrin! Kennt und nutzt das noch wer? Und wann und wie ist das eigentlich aus meinem Leben verschwunden?).

Das Wort wurde auch letztes Jahr schon nominiert (hier), hat es dann aber nicht in die engere Auswahl geschafft. Allerdings hat meiner Erinnerung nach niemand eine gründliche Analyse dazu geschrieben und wer weiß, vielleicht hat sich seit damals ja auch einiges getan. Die diesjährige Nominierung ist hier zu finden.

Zunächst einmal muss

eine Begriffserklärung

her. adden ist eine Großtante von frienden, auch hier geht es darum, jemanden im Internet zu einer Kontaktliste hinzuzufügen, sodass man mit dieser Person kommunizieren kann. Basis ist das englische to add ‘hinzufügen’, vom lateinischen addere. (Auf letzteres geht natürlich auch das deutsche addieren zurück, das aber in seiner Bedeutung auf die Mathematik begrenzt ist.)

Der Nominator nennt als prototypische Verwendungskontexte Skype, ICQ und Steam (ja, kannte ich auch nicht). Hinzu kommt die eng verwandte Nutzung für das Hinzufügen von Computerspielcharakteren, wie es z.B. in einem Kommentar im Szenesprachwiki und im Eintrag Computerspieler-Jargon bei Wikipedia erklärt wird.

Seit wann wird geaddet?

Im Internet alte Belege zu finden, hat sich trotz des hohen gefühlten Alters als ziemlich schwierig erwiesen. Ich nehme an, dass es daran liegt, dass das Wort vor allem in Kommunikationsformen mit kurzer Halbwertszeit genutzt wurde und wird – in Chats, Foren, Gästebüchern etc., wo man eben jemand dazu auffordert, einen zu adden. Entsprechend lieferte eine Googlesuche mit eingegrenztem Datum zwar Treffer, schaut man sich die entsprechenden Seiten aber an, so war entweder die Datierung falsch oder der entsprechende Beitrag nicht mehr zu finden.

Ich habe mit dieser Suchabfrage für die Jahre 1990-2000 vier Fälle in Diskussionsforen gefunden, alle aus dem Jahr 2000, nix Früheres, was aber nichts heißen muss. Da hat zum Beispiel ein armer ICQ-Nutzer seine komplette Kontaktliste verloren:

Achja, nochwas,
falls das hier Leute lesen die auf meiner ICQ-Liste ein sollten,
bitte schreibt mich kurz an damit ich euch wieder adden kann.

Im selben Jahr will jemand dringend kontaktiert werden:

Schreib mal nach XXX@web.de oder adde mich im ICQ unter der Nummer XXX. (Kontaktdaten von mir entfernt.)

Und noch ein ICQ-Nutzer:

Zu ICQ…
Ich hab auf meiner Contactlist mittlerweile ~400 Leute stehen. Die, die mich ohne zu fragen einfach geaddet haben, werden entweder geleoscht oder sie kommen auf »ignore«;

Der vierte Treffer ist auf ein Computerspiel bezogen, es scheint darum zu gehen, vom Computer gesteuerte Figuren in einem Spiel zu nutzen:

kann mir ma jemand erklären wie das mit der bot version geht, die im spiel zu adden, das die nicht nur dumm rumspringen und in dust nicht nur am startpunkt von den terrors rumhängen und nüscht peilen????

Mit ein bißchen mehr Zeit könnte man etwas tiefer in der Vergangenheit wühlen und schauen, ob der ICQ-Kontext vielleicht die urspründliche Entlehnungsquelle war. ICQ gibts seit 1998, myspace – wo meinem Eindruck nach auch gerne geaddet wird – kam in der heutigen Form erst 2003, sagt Wikipedia.

Integrationsstatus und semantische Lücke

adden hat sich, wie alle Lehnverben, in seiner Flexion prima integriert: Es hat eine Infinitivendung bekommen (add|en) und kann in allen Personen, Tempora etc. vorkommen (addest, (?)addete, geaddet, …). Im Zusammenspiel von Lautung und Schreibung bleibt es noch fremd: Bei der Aussprache [ɛdn] (edn, wie esn ‚essen‘) korrespondiert <a> mit [ɛ] statt mit [a/ɑ] und außerdem ist [d] an dieser Stelle (nach Kurzvokal, im Silbengelenk) sehr unüblich. (Es tritt nur in entlehnten Wörtern auf, z.B. paddeln, buddeln, knuddeln, verheddern.) Insofern verhält es sich sehr ähnlich wie die meisten englische Lehnverben, z.B. joggen, chatten und einloggen, völlig erwartbar.

Schaut man sich an, welche Argumente adden im Satz verlangt, so folgt es eigentlich immer dem langweiligen Muster Subjekt addet Akkusativobjekt (zu/bei/auf Internetdienst).

Ein bißchen interessanter wird es, wenn man sich zwei Wortbildungen anschaut, die adden eingeht: dazuadden bzw. hinzuadden. Gefallen mir total gut. Hier wird das englische Wort durch die fast tautologische Präfigierung transparenter gemacht. Ich hatte den Eindruck, dass diese Formen besonders dann verwendet werden, wenn nicht ein Mensch, sondern ein Ding geaddet wird (Beispiele im Fazit), habe das aber nicht überprüft.

Bei der Entscheidung, ob adden ein guter Kandidat für den Anglizismus des Jahres ist, bringt uns das alles aber nicht weiter. Wichtig dabei ist hingegen, ob das Verb eine Lücke im deutschen Wortschatz füllt. Durch seine spezifische Bedeutung (Hinzufügen von Kontakten bei internetbasierten Kommunikationsformen) tut es das zwar, allerdings ist das eine ziemlich kleine Lücke, über die sehr, sehr viele Leute niemals stolpern werden.

Alter Hut?

Da es das adden also schon seit einer ganzen Weile gibt, müsste man jetzt nachweisen, dass das Jahr 2011 einen ganz besonderen Beitrag zu seiner Verbreitung geleistet hat. Die Kernfrage lautet also: Ist adden im Jahr 2011 in seiner Verwendungshäufigkeit stark gestiegen und/oder ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit geraten?

Da haben wir dann wieder das alte Problem, dass sich das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit nicht so recht untersuchen lässt. Ein halbwegs guter Indikator ist die Verwendung in Zeitungen: Wenn man davon ausgeht, dass die Leserschaft das Wort nicht kennt, dann wird man es entweder nicht verwenden oder aber als fremd kennzeichen und erklären. Ich habe nun zunächst einen Blick ins deutsche Referenzkorpus (über Cosmas II) geworfen und dort gerade mal 7 Verwendungen gefunden, alle aus den Jahren 2008 bis 2010, und tatsächlich ist das Wort in 6 Fällen als fremd markiert. Für 2011 gibts keine Treffer, aber, wie immer, fehlt die zweite Jahreshälfte noch. Kann man also nichts mit anfangen.

Versuch Nr. 2: Ein paar Jahrgänge in Zeitungen durchsuchen. Erste Station: Die ZEIT. Treffer für das Verb und all seine Flexionsformen ab 2007 (vorher gabs nichts): 1, 1, 2, 4, 0. Sieht also schlecht aus für 2011. Dann: Spiegel online. 1 Treffer 2009, that’s it. Okay, FAZ: Null. Hm, vielleicht was Netzaffineres? heise.de: 2008 2 Treffer, 2010 einer.

Mein Fazit

Ich fürchte, wir müssen der Wahrheit ins Gesicht schauen: Das Wort hat 2011 nichts Besonderes geleistet. Dass es keine weitere Verbreitung in dem Medien gefunden hat, wundert mich nicht groß, die Möglichkeiten der Berichterstattung über adden scheinen mir begrenzt zu sein. Eine Chance hätte es höchstens gehabt, wenn

  • irgendetwas passiert wäre, was sich um das Konzept drehte. Was weiß ich, ein beliebiger Bundespräsident addet versehentlich einen beliebigen Boulevardzeitungschefredakteur bei ICQ und schreibt ihm wüste Nachrichten, die versehin voller Absicht nach und nach geleakt werden.
  • Oder wenn das Wort sich neue, allgemeinere Anwendungsbereiche erobern hätte können. Da es ein recht spezifisches Wort ist, erscheint mir das ziemlich schwierig, aber nicht unmöglich. Ein möglicher Pfad: Das Hinzufügen auf Listen generell, z.B. auf einer Gästeliste. Gibt es sogar:
    • Du wirst jetzt sehr zeitnah auf der Gästeliste “geaddet” (2010, hier) – interessante Verwendung der Präposition übrigens, vielleicht inspiriert von auf die Gästeliste setzen?
    • Moin Leute, könnte ihr ein paar Freunde und mich noch zur Gästeliste adden? (2011, hier)

Prinzipiell könnte man sich auch ein generelles Eindringen in die Domäne von hinzufügen vorstellen, zunächst einmal scherzhaft und nur im Netzjargon, von dort aus vielleicht langsam auch anderswo. Dafür habe ich aber keine richtigen Indizien gefunden. Es gibt aber immerhin eine Ausbreitung auf Unbelebtes, vielleicht beeinflusst von der Computerspielbedeutung. So kann man auch Lieder zu einer Liste (dazu)adden etc.:

  • Das bild wurde mit Buntstiften gecolort, und der Hintergrund mit GIMP hinzugeaddet xD (2008, GIMP ist ein Bildbearbeitungsprogramm)
  • Hab mir mal gedacht, dass ich hier nen Thread eröffne, für alle meine selbstgemachten, bzw. von Frets On Fire konvertierten Charts. Neue werden einfach von mir dazugeaddet.  (2010)
  • Was sind noch eure Ideen, bzw was könntet ihr euch vorstellen was noch dazu geaddet oder verbessert werden soll? (2011, über Funktionen bei einem Programm)
  • Habe mal den Band Contest bei last.fm geaddet (2006, gemeint ist, dass dort ein Hinweis auf den Wettbewerb angelegt wurde)

In die Richtung könnte man auch ein bißchen weitersuchen, gerade die verschiedenen Anwendungsbereiche erscheinen mir sehr spannend. Allerdings ist mein Sonntag quasi rum und selbst die schönste semantische Analyse wird wohl keine breite Öffentlichkeit im Jahr 2011 für das arme adden hervorzaubern können. Das alles führt mich zu dem Schluss, dass adden als Kandidat für die nächste Runde nicht in Frage kommt.

11 Responses to Anglizismus des Jahres: Soll man adden adden?

  1. adden ist eine Großtante von frieden

    … oder doch eine Cousine von frienden? ;)

    Eine kleine Sekte, die Verwender der antiken Programmiersprache COBOL, verwendete adden übrigens ’schon immer‘, d.h. spätestens seit den 80-er Jahren, als Paraphrase von mathematischen Statements wie:
    ADD x TO y.
    => „Ich habe x zu y geaddet (, und schon ist es abgestürzt).“

    Für den ‚Anglizismus des Jahres‘ wird auch das nicht reichen.

    • Kristin sagt:

      Oh, tausend Dank, Tippfehler ist eliminiert!
      Schöner Hinweis mit den Programmierern, auch wenn ich schätze, dass diese Verwendung an der Entstehung der aktuellen keinen/kaum Anteil hatte.

  2. Zu deiner Frage „Kennt und nutzt das noch wer?“ bezogen auf ICQ kann ich nur antworten: Ja, ich kenne und nutze das seit ungefähr 10 Jahren. In letzter Zeit weniger, da es mit XMPP-Servern (Facebook & Co.) viele alternative IM-Dienste gibt. Aber mein ICQ-Account wird definitiv noch aktiv genutzt… :-)

    Selbstverständlich nicht mit der absolut unterirdischen, überfrachteten, nur noch aus Werbung bestehenden Original-ICQ-Software. Gibt ja genug gute, alternative Clients, wie z.B. der Open-Source-Messenger Pidgin (www.pidgin.im), der nebenbei auch noch so ziemlich jedes andere bekannte Chat-Protokoll unterstützt (Facebook, Jabber/XMPP, MSN/WindowsLiveMessenger, AIM, IRC, IBM/Lotus Sametime, Yahoo Messenger etc. etc.).

    Nein, das soll jetzt keine Werbung gewesen sein :-)

    LG, Fabian

  3. JJFlash sagt:

    Geht mir ebenso wie Fabian über mir, zumal es anscheinend von vielen seltsamerweise als ein „unideologisches“ Protokoll angesehen zu werden scheint. Seltsam angesichts der Eigentümer, der Nutzungsbedingungen und der Werbelastigkeit des eigenen Clients sowie der Freiheit von XMPP.

    Ich würde übrigens, anderes Thema, gerne was zur Entlehnung von knuddeln, paddeln, buddeln und verheddern lesen. Ich habe testweise nur zu knuddeln gegoogelt und auf die schnelle nichts gefunden.

  4. P. Frasa sagt:

    „adden“ ist definitiv uralt. Google- und Korpus-Suchen sind, wie du erwähntest, notorisch schwierig, weil sie Foren und dergleichen meist stark übergehen. Eine Suche allein nach der Grundform liefert im Forum meines Vertrauens 386 Treffer, die ältesten von 2002 (und das auch nur, weil alle Beiträge vor 2002 mal gelöscht wurden). Daß das Wort in irgendeiner Form „unbekannt“ sein könnte, hätte ich nie gedacht. Es beschränkt sich jedenfalls nicht allein auf ICQ, sondern wird mit allen anderen solchen Chat-Diensten in Verbindung gebracht (MSN, AIM, Jabber, etc. – nur bei Facebook wird das eher vermieden). Natürlich ist der Kontext stark spezifisch, aber das ist auch ein Wort wie „löten“ und trotzdem kennt das jeder. Ich würde übrigens abstreiten, daß das eine sehr kleine Lücke im Wortschatz ist. Internetkommunikation ist nun wahrlich schon lange nicht mehr was nur für Geeks.

    Und wenn man versuchen wollte, die historische Entwicklung dieses Wortes nachzuvollziehen, dann würde es sich wohl am besten anbieten, in deutschen Usenet-Archiven rumzukramen.

    • Kristin sagt:

      Ich selbst finde adden auch nicht so exotisch, kenne aber gerade im Instantmessengerbereich auch viele andere Möglichkeiten, den Sachverhalt auszudrücken. (Und zu meinem Aktivwortschatz gehört es zum Beispiel nicht.)

      Mit der Erwähnung von ICQ wollte ich natürlich nicht behaupten, dass das Wort nur dort verwendet wird, das war nur exemplarisch.

      Deine Vorschläge für die Recherche sind cool – Du hast recht, einfach direkt in großen Foren zu suchen, ist sicher viel zielführender, als das über Google zu machen, wenn man alte Belege will. Usenet klingt auch nach einer guten Idee!

  5. suz sagt:

    Ist doch eigentlich auch das gleiche Muster für alle Lehnworte im Social Media-Kontext, oder? Das System kommt mit englischen Bezeichnungen und Buttons daher – und bevor ein Entwickler da eine deutschsprachige Version zur Verfügung stellt (wenn überhaupt), ist der Begriff längst eingebürgert und hat das Nominierungskriterium des Füllens einer lexikalischen Lücke längst erfüllt. Vielleicht bin ich betriebsblind, wenn ich das schon fast vorhersehbar langweilig finde.

    An ICQ – bzw. wie es dort hieß – kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich nutze seit 2005 kein ICQ mehr.

    • Kristin sagt:

      Ja, in dem Sinne müsste man vielleicht mal ganz generell über die Kriterien für den Anglizismus des Jahres nachdenken. Wenn wir wirklich nur Wörter erlauben, die im entsprechenden Jahr eine bedeutend größere Rolle gespielt haben als zuvor, dann kriegen wir vor allem einen bestimmten Typus rein: Wörter für neue Erfindungen und Wörter, die in Zusammenhang mit einem wichtigen Ereignis des Jahres stehen. Wörter, die sich ganz kontinuiertlich etablieren, haben keine Chance.
      Andererseits, vielleicht hätte man die plötzliche Verwendung von adden ja so um 2000 herum sehen können und wir sind jetzt einfach zu spät dran?

      Ja, so um 2005 herum hab ich das wohl auch das letzte Mal benutzt. Mir ist aber eben eingefallen, dass ich es auf einem alten Rechner noch installiert habe. Hm, mal schauen, ob ich mich noch einloggen kann …

      • Kristin sagt:

        Juchu, ich kann! Sieht so als, als hätte ich das im November 2000 installiert. Werde heute Abend mal schauen, ob ich irgendwo adden verwendet habe. Auf jeden Fall gibt es einen großen add-Button, schon mal was. Mag mir nicht jemand eine Nachricht schicken? Ich will gerne mal wieder das Oh-Oh-Geräusch hören und meine alten Freunde scheinen alle nimmer da zu sein! Hach, die Nostalgie …

        • fabian sagt:

          @P. Frasa: sehr schön ausgegraben, diesen Usenet-Thread von 1990 (!!). Aber man sieht, auch da wurde das Wort schon benutzt, wenn auch in einem speziellen Kontext. Glaube auch, dass das damals sicher daran lag, dass bei XENIX (Gott! Xenix!!! :-)) der Parameter „-add“ des Befehls /etc/swap benutzt wurde, und der Poster einfach das schnell übernommen hat, ohne sich um eine deutsche Umschreibung Gedanken zu machen.

          @Kristin: 2000 installiert? Und immer noch drauf? Nie dazwischen ein neues System aufgesetzt? Und was ist das dann für ne ICQ-Version? ;) Dass die überhaupt noch funktioniert bzw. ein Login möglich ist… (das sog. „OSCAR-Protokoll“ wurde zwischenzeitlich nämlich mehr als einmal, wenn auch nur leicht, verändert…). Wenn du’s testen willst und den „Oh-oh“-Sound hören willst (wobei ich den immer schon ausgeschaltet hatte), kein Problem, schick mir bei FB oder so deine ICQ-Nr. :-D