Schuttertal revisited

23. April 2009

(Ergänzungen zu: Am Pascal seine Mutter | Werbehefter für Motogrossrennen)

Nachdem ich gestern – nicht primär für das Schplock – eine Stunde vor dem Regal mit Dialektbeschreibungen in der Institutsbibliothek gestanden habe, gibt es noch ein paar Kleinigkeiten zum Alemannischen nachzutragen, lustigerweise aus einem Buch, das Lehrerinnen helfen soll, Dialekteinflüsse aus dem Alemannischen zu erkennen und die Schüler dafür zu sensibilisieren. Darin werden Schülerfehler analysiert und erklärt, also sehr ähnlich wie das, was ich hier gemacht habe. Dann mal los:

Am Pascal seine Mutter …

… scheint ein beliebter Fehler zu sein. Zur Erinnerung: dem wird dialektal so ausgesprochen, dass es nur noch wie äm oder am klingt, weshalb das Kind hier am Pascal statt dem Pascal geschrieben hat. (Dass die Namen Artikel haben, ist ja auch über das Alemannische hinaus verbreitet.)

Das Buch hat ein Beispiel, in dem es eigentlich um die falsche Flexion von Herrn geht, wo es auch zu einer solchen Reinterpretation kam:

(1) wir wollten im Herr Lehrer die Hose zunähen ‚wir wollten dem Herrn Lehrer die Hose zunähen‘

Der reduzierte Vokal vor dem [m] wurde hier als [i] analysiert, in meinem Pascal-Beispiel als [a], aber der Effekt ist sehr ähnlich.

Werbehefter für Motogrossrennen

Das Büchlein gibt noch eine ganz ordentliche Ausbeute an Substantiven her, die im Alemannischen den Plural mit –er bilden, im Hochdeutschen aber nicht. Im Originalbeitrag habe ich ja schon Heft Hefter und StückStücker genannt, die kommen in der Liste auch vor, und zusätzlich gibt es:

  • Stein – Steiner
  • Seil – Seiler
  • Bein – Beiner
  • Ding – Dinger
  • Geschenk – Geschenker
  • Scheit – Scheiter
  • Bett – Better
  • Geschäft – Geschäfter
  • Hemd – Hemder
  • Spiel – Spieler
  • Gewicht – Gewichter
  • Mensch – Menscher
  • Geschmack – Geschmacker (kommt mir ohne Umlaut seltsam vor)
  • Unglück – Unglücker
  • Schicksal – Schicksaler (kommt mir ohne Umlaut seltsam vor)
  • Gewehr – Gewehrer
  • Geschirr – Geschirrer
  • Hag – Häger
  • Brot – Bröter
  • Ross – Rösser
  • Ort – Örter

Nicht alle davon verwendet man im Schuttertal, aber sehr viele kommen mir sehr vertraut vor.


In eigener Sache

1. Juli 2009

Gestern habe ich meine Magisterarbeit angemeldet: “Flexionsklassen diachron und dialektal: Das System der Substantivklassen im Alemannischen

Und nicht nur weil der Kommentar der Sachbearbeiterin im Dekanat lautete “Äh, ja. Schön geschrieben, das kann ich gut abtippen”, will ich noch ein bißchen mehr dazu sagen:

1. Flexionsklassen & Substantivklassen

Darum ging es schon einmal in Oh Herz Jesu, meine Kasus! Ganz kurz gesagt: Flexionsklassen gibt es für alle flektierenden Wortarten.

Für Verben heißt die Flexion auch Konjugation. Verben besitzen im Deutschen je nach Numerus (Ein- oder Mehrzahl), Person (1., 2., 3.), Tempus (Präsens, Präteritum, …), Modus (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ) verschiedene Formen. Alle verschiedenen Formen eines Verbs zusammengenommen nennt man Paradigma. Alle Verben, die auf die gleiche Weise konjugiert werden, gehören zusammen zu einer Klasse. Das ist für das Deutsche nicht so leicht einzuteilen, bei Sprachen wie Spanisch geht es besser: Die Infinitivendung Vokal+r besteht bei manchen Verben aus i+r, bei anderen aus a+r oder e+r. Je nach Vokal wird anders konjugiert.

Bei Substantiven spricht man von Deklination. Ein Substantiv benötigt im Deutschen die Informationen Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ), Genus (maskulin, feminin, neutrum), Numerus (Singular, Plural) und Definitheit (bestimmt, unbestimmt). Genus und Definitheit werden nur am Artikel markiert, Kasus und Numerus sowohl am Substantiv als auch am Artikel.

Die Substantivklassen werden im Deutschen also an Kasus und Numerus festgemacht. Im Genitiv können Substantive z.B. auf -(e)s enden (des Mannes), oder auf -(e)n (des Bären), oder völlig endungslos sein (der Frau_). Im Plural gibt es unglaublich viele Möglichkeiten: die Männer, die Frauen, die Nächte, die Autos, die Nägel, die Wagen, … Die Substantivklassen teilt man durch die Kombination von Genitiv Singular und Nominativ Plural ein. Alle Substantive, die diese beiden Formen auf die gleiche Weise bilden, bilden auch alle anderen Formen identisch. Eine sehr schöne Übersicht findet Ihr auf canoo.net.

2. Diachron & dialektal

Diachron (oder diachronisch) kommt von griechisch dia ‘(hin)durch’ und chronos ‘Zeit’. Das Adjektiv bezeichnet eine Vorgehensweise, bei der man Sprache über einen längeren Zeitraum hinweg (Jahrhunderte, nicht Tage) betrachtet und die Veränderungen untersucht. In meinem Fall werde ich schauen, wie die Substantive im Althochdeutschen eingeteilt waren und wie und warum sich diese Einteilung zum Neuhochdeutschen hin verändert hat. Das Gegenstück zu diachron ist synchron, die Betrachtung eines Sprachsystems zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Dialektal bezieht sich auf Punkt 3:

3. Alemannisch

Im Alemannischen unterscheiden sich die Klassen sowohl vom althochdeutschen als auch vom neuhochdeutschen System. Es gibt zum Beispiel keinen Genitiv mehr, der Pluralmarker alleine bestimmt über die Substantivklasse. Ich untersuche zwei Ortsdialekte im alemannischen Sprachraum und schaue, wie die Klassen da eingeteilt sind.

Ein paar Aspekte zum Thema findet Ihr auch schon auf dem Schplock:


Werbehefter für Motogrossrennen

15. April 2009

Neues aus Schuttertal … nachdem wir alles über am Pascal seine Mutter wissen, geht es heute um Frau Schwab und das, was sie so macht:

Nämlich Werbehefter.

Im Hochdeutschen gibt es zwar das Wort der Hefter (Plural: die Hefter), das eine Mappe zum Einheften bezeichnet (oder gelegentlich einen Tacker). Wahrscheinlich wurde es aus dem Verbstamm von heften und der Endung –er gebildet, so wie Bohrer aus bohren+er, Stecker aus stecken+er, und so weiter.

Dieses Wort ist hier aber nicht gemeint, es geht vielmehr um Prospekte, also Werbehefte. Der Plural auf –er bei diesem Wort ist eine dialektale Eigenheit: KindKinder, LiedLieder, GliedGlieder, … im Hochdeutschen gibt es eine ganze Gruppe von Wörtern mit Plural auf –er.

In Dialekten gibt es zwar meist dieselben (oder sehr ähnliche) Arten der Pluralbildung, aber es müssen nicht unbedingt dieselben Wörter in diese Gruppen gehören. Im Schuttertal gehört HeftHefter ganz regulär zur Gruppe mit –er-Plural, während es im Hochdeutschen zur Gruppe mit –e-Plural gehört (wie Beete, Stifte, Wege, …). Auch mit dabei: StickSticker ‘Stücke’.1

Gut möglich, dass die Verwendung von Hefter als Plural von Heft noch zusätzlich durch das vorhandene hochdeutsche Wort Hefter gestärkt wird, das ja auch eine sehr ähnliche Bedeutung hat.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

Den Rest des Beitrags lesen »


Am Pascal seine Mutter

16. Januar 2009

Quelle

Im Schuttertal spricht man Alemannisch.
Bastian Sick mag die Nase rümpfen wie er will und den Tod des Genitivs herbeischrei(b)en – im Alemannischen (wie in vielen deutschen Dialekten) gibt es ihn eh schon lange nicht mehr. In der Regel steht dort, wo im Hochdeutschen ein Genitiv steht, ein Dativ, und das gilt ganz besonders für Possessivkonstruktionen.

Possessivkonstruktionen sind Konstruktionen, mit denen man ausdrückt, dass jemandem etwas gehört. Dazu gibt es im Deutschen eine ganze Menge Möglichkeiten:

(1) Kristins Sprachblog
(2) das Sprachblog der Studentin
(3) das Sprachblog von Kristin
(4) von (der) Kristin das Sprachblog
(5) (der) Kristin ihr Sprachblog

Die Varianten (1) – (3) sind standard- und schriftsprachlich, sie können problemlos in elaborierten Texten verwendet werden.
Der Unterschied zwischen (1) und (2) liegt darin, dass bei (1) der Possessor (also die Person, die etwas besitzt) dem Possessum (also das, was besessen wird) vorangestellt ist, in (2) ist es umgekehrt. In der Regel nutzt man Konstruktion (1) nur für Eigennamen und Eigennamenähnliches wie Mama, Papa, Oma, Opa. In allen anderen Fällen greift dann Konstruktion (2).
Konstruktion (3) geht eigentlich nur für Eigennamen, ist also eine Alternative zu (1), sonst ist sie eher umgangssprachlich (?Das Blog von der Studentin, ?Das Haus vom Präsidenten).

Jetzt aber zu (4) und (5) – (4) wird vom Grammatik-Duden als regional und mündlich bezeichnet, (5) ist „seit langem im gesamten deutschen Sprachraum nachweisbar […], eigenartigerweise bisher nicht in die geschriebene Standardsprache aufgenommen worden.“ (S. 835)

Zurück zum Alemannischen, das Konstruktion (5) benutzt:
Im Schuttertäler Dialekt wird die Entsprechung des hochdeutschen dem [de:m] als [dɛm] (ungefähr dämm) realisiert1. Allerdings fällt, wenn das Wort unbetont ist, oft das d am Anfang weg. Es wird also zu [ɛm] oder [əm].

Das Wort am wird als [ɔm] ausgeprochen (ungefähr omm), aber manchmal wird es noch weiter reduziert, sodass es fast wie [əm] klingt.

Das wurde dem armen Schulkind, das den obigen Aufsatz geschrieben hat, zum Verhängnis – es schrieb Frau Ehret ist am Pascal seine Mutter.

Die dialektale Possessivkonstruktion wird natürlich auch in der Umgangssprache verwendet, die die Kinder in der Schule sprechen (und als Hochdeutsch bezeichnen). Dieser Umgangssprache des Kindes entsprechend wäre es also korrekt gewesen, dem Pascal seine Mutter zu schreiben, aber da es nicht mehr wusste, woher das zusammengeschrumpfte Wort kam, schrieb es schließlich am.
Der Lehrkraft war’s egal – hochsprachlich muss Frau Ehret halt doch Pascals Mutter sein.

Die verlinkte Seite gibt noch viel mehr dialektale Eigenheiten her, aber dazu ein andermal.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

Den Rest des Beitrags lesen »